Der Theologe Urs Eigenmann bei seinem Vortrag in Täuffelen. Foto: Elisabeth Zschiedrich

Urs Eigenmann: «Was bringt eine Theorie, die niemand versteht?»

Die Eucharistie als Aufruf zum Einsatz für eine gerechtere Welt

Die Eucharistie ist kein Wunder, sondern ein Aufruf zum Handeln. In Täuffelen erläutert Urs Eigenmann, Theologe und Ex-Sprecher bei Wort zum Sonntag, seine Sicht auf das Sakrament.

Elisabeth Zschiedrich*

«Ganz harmlos ist meine Theologie nicht», warnt Urs Eigenmann gleich zu Beginn. Wer den 78-Jährigen kennt, weiss, was das heisst. «Sonntagsreden» liegen ihm nicht. Für Eigenmann muss Theologie kritisch sein. Deshalb hat Pfarreiseelsorger Eberhard Jost ihn eingeladen. Anlässlich seines Abschieds aus dem Seeland will Jost nochmal ein heisses Eisen anpacken. Die Frage nach der Bedeutung der Eucharistie ist ein solches. Warum – das erfahren die 35 Zuhörerenden an diesem Nachmittag in Täuffelen.


Die Bibel im Zentrum

Die Eucharistie habe umstürzlerische Kraft, sagt Eigenmann. In seinem Vortrag erklärt der Theologe, was er damit meint. «Die Bibel ist die Seele der Theologie.» Das Zweite Vatikanische Konzil habe dies in geradezu revolutionärer Art herausgestellt. Dennoch spiele die Heilige Schrift in der Glaubenslehre der Kirche keine tragende Rolle. Seit dem vierten Jahrhundert, in dem das Christentum Staatsreligion geworden sei, argumentiere diese nicht mehr biblisch-historisch, sondern philosophisch-spekulativ. Damit, so Eigenmann, negiere die christliche Orthodoxie ihre eigenen Ursprünge.

Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sünder:innen

Urs Eigenmann hält den biblisch-historischen Kontext für unverzichtbar. Besonders hinsichtlich des Verständnisses der Eucharistie, des Sakraments, das an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern, an seinen Tod und seine Auferstehung erinnere. Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sünder:innen habe zu seiner Zeit als skandalös gegolten. Noch heute stehe es für die Überwindung von Ausgrenzung und Diskriminierung.

Indem Jesus beim letzten Abendmahl das Brechen des Brotes als Zeichen für seine Gegenwart bestimmte, habe er der Geste des Teilens besonderes Gewicht gegeben. Die Botschaft laute: «Wenn das Vorhandene geteilt wird, reicht es für alle. Das galt zur Zeit Jesu und gilt heute», so Eigenmann. Von dieser Deutung der Eucharistie habe sich die christliche Lehre im Laufe der Jahrhunderte immer weiter entfernt, bedauert er. Auch andere zentrale Aspekte seien vernachlässigt worden: die Idee der Feier der im Glauben an Jesus versammelten Gemeinde etwa. Und die Vorstellung einer zeichenhaften Vorwegnahme der von Gott verheissenen Vollendung seines Reiches.

Stattdessen seien philosophisch-spekulative Überlegungen immer wichtiger geworden. Grossen Stellenwert habe die Frage erlangt, was eigentlich mit dem Brot und Wein in der Eucharistiefeier geschehe, ob der eucharistische Leib Christi wirklich identisch sei mit dem historischen Jesus oder ob es sich nur um symbolische Platzhalter handle, die auf die geistige Gegenwart Gottes hinwiesen.

Praxis statt statische Verehrung einer Sache

Als Reaktion auf diese Überlegungen sei im 12. Jahrhundert die Transsubstantiationslehre entstanden, die in der katholischen Lehre bis heute gilt. Sie beschreibt die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi während der Eucharistie. Eigenmann steht dieser Lehre skeptisch gegenüber. «Was», fragt er, «bringt eine Theorie, die fast kein Mensch versteht?»
 

Die Bibel ist die Seele der Theologie

Urs Eigenmann

 

Das Fronleichnamsfest ist ihm genauso suspekt wie die aktuelle Konjunktur eucharistischer Anbetungen. Während seiner Zeit als Pfarrer in Neuenhof und Killwangen habe er dieses Fest zwar auch gefeiert, aber die Hostie in der Monstranz habe er zuvor gebrochen. «Denn es geht um die Praxis, nicht um die statische Verehrung einer Sache.»


«Brot des Lebens»

Die Theologie Eigenmanns ist geprägt von der Befreiungstheologie. Diese entstand in den 1960er Jahren in Lateinamerika. Sie gibt den Armen eine Stimme und zielt auf deren Befreiung von Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung. Eigenmann hat seine Doktorarbeit über den brasilianischen Bischof Dom Hélder Câmara geschrieben. Mit Blick auf die Eucharistie beruft er sich auf Bartolomé de Las Casas, einen für die Befreiungstheologie wichtigen mittelalterlichen Theologen.

Las Casas habe sich gegen ein spiritualisiertes, rein kultisches Verständnis der Eucharistie gewehrt, das das reale Leiden der Menschen ausblendet. Das Darbringen und Teilen des Brotes in der Eucharistie habe er als Aufforderung gesehen, sich für Gerechtigkeit in der Welt einzusetzen. Eigenmann übernimmt diese befreiungstheologische Sicht. Er ist überzeugt: «Das Brot der Feier muss auch Brot des Lebens sein.»

«Reich-Gottes-verträgliche» Verhältnisse schaffen

Für die Entfaltung der umstürzlerischen Kraft der Eucharistie müssen laut Eigenmann verschiedene Elemente zusammenkommen: Die Erinnerung an das Handeln Jesu muss präsent sein, ebenso die Erinnerung an die gleiche Würde aller Menschen vor Gott und an den Osterglauben der Jünger Jesu, die sich trotz seines Scheiterns am Kreuz auf seine Nachfolge einliessen.

Die Eucharistie müsse ausserdem als ein Zeichen verstanden werden, welches vor dem Hintergrund dieser Erinnerungen auf aktuelle Missverhältnisse aufmerksam mache. Darauf, dass Millionen Menschen Hunger litten, dass Menschen diskriminiert und ausgeschlossen würden, dass allzu oft das Recht des Stärkeren dominiere und der Erfolg das einzige Kriterium sei.

Einsatz für eine gerechtere Welt

Für Eigenmann folgt daraus eine Verpflichtung zum Handeln. Aus der Eucharistie erwachse die Verantwortung aller Christ:innen, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Eine Welt, in der das Gesetz der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe gelte. Eine Welt, die geleitet werde von der Vision des Reiches Gottes und in der alles als sinnvoll gelte, was zur Beseitigung des Leidens anderer diene.

Die Eucharistie solle weder zu einer fetischartigen Verehrung des «Allerheiligsten» führen, noch als dekoratives Ritual missverstanden werden. Sie sei vielmehr eine Symbolhandlung, die Befreiung ermögliche und die Gesellschaft, in der sie gefeiert wird, verändern könne. Es komme nur darauf an, wie die Menschen sie verständen.


* Elisabeth Zschiedrich, promovierte Theologin und freie Journalistin, ist an der Universität Freiburg i. Ü. tätig.

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