Abendrunde

Kolumne «Adiéu» von Marie-Louise Beyeler

«Hüt gö mer obedüre, das isch gäng wieder schön», sagt die Frau und gibt ihrem Mann die Richtung für ihren Spaziergang an. Weil ich mit den beiden ein kleines Stück gegangen und durch den gleichen Eingang gekommen bin, sagen sie jetzt freundlich «Adieu» und gehen weiter.

Die friedliche Abendstimmung, die Ruhe, die gepflegte Grünanlage lädt durchaus zu einem Spaziergang ein. Wäre mir, obwohl ich in der Nähe wohne, noch nie in den Sinn gekommen – aber warum nicht? Ich komme hierher, weil ich an besonderen Tagen gerne einen Moment an den Gräbern von Familienmitgliedern und lieben Freund:innen verbringe, Blumen hinlege, Kerzen anzünde.

Meine Gänge über den Friedhof sind stets etwas in Eile, ohne Überlegung, ob es obedüre oder undedüre schöner sei, ein Moment der Erinnerung an die Verstorbenen, eine liebgewordene Gewohnheit. Diese wird heute jäh unterbrochen: An einem Kindergrab steht ein junges Paar, in inniger Umarmung geben sich die beiden Halt, die Frau weint leise, auf dem kleinen Grab dreht sich ein buntes Windrad. Das Bild berührt und schmerzt.

Ich sage meinen lieben Verstorbenen Guetnacht und mache mich nachdenklich auf den Heimweg. Froh darum, dass es diesen schönen, stillen Ort gibt, der Spaziergänger ebenso aufnimmt wie die Eltern, die um ihr Kind trauern und mich auf der gewohnten Runde. Von weitem sehe ich das alte Paar, das langsam dem Ausgang entgegengeht.  

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