
Wenn ich in diesen Tagen durch die Natur spaziere, kommt mir immer wieder Rainer Maria Rilkes Gedicht «Herbsttag» in den Sinn, das ich in der Schule gelernt habe. Das Gedicht löst in mir eine gewisse innere Gelassenheit aus und berührt die beiden Seiten meiner Persönlichkeit als Bauernbub vom Land und als Städter, der sich oft von den vielen Eindrücken und Aufgaben von aussen bestimmen lässt.
Jetzt muss nichts mehr sein. Für einen Moment ist es erlaubt, innezuhalten und auf das zu schauen, was war. Vieles hat sich im Getriebe der Zeit verflüchtigt und ist aus dem Blickfeld geraten. Oft war gar nicht die Zeit, das Erlebte zu reflektieren, mit Dankbarkeit wert zu schätzen oder versöhnt abzuschliessen. Die Reife der Früchte, die Rilke in seinem Gedicht besingt, lehrt uns die Geduld, Dinge auch einmal geschehen lassen zu dürfen, und besingt den Genuss, den das Leben für uns bereithält.
Wenn wir fähig sind, bei uns zu sein, dann sind wir auch gewappnet gegen die Stürme des Lebens, die gleich dem Zyklus der unterschiedlichen Jahreszeiten unweigerlich auf uns zukommen werden. Wir haben keine Angst, mit den grauen und nebligen Windungen unserer Seele in Berührung zu kommen. Denn wir haben gelernt, mit uns klar zu kommen, in den guten wie in den schweren Zeiten, in denen wir die Nächte durchwachsen, in denen wir lange Briefe schreiben und in denen wir, wie es bei Rilke heisst, «in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben».