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Licht sein

Kolumne «Adieu» von Christian Geltinger

Am 11. November ist der Festtag des Heiligen Martin. Als Sohn eines römischen Offiziers war für den 316/17 n. Chr. in Savaria im heutigen Ungarn geborenen Martin die militärische Laufbahn vorprogrammiert. So wurde er schon mit 15 Jahren in die Leibwache Kaiser Konstantins, des ersten Christen auf dem römischen Kaiserstuhl, aufgenommen und landete kurze Zeit später schliesslich im französischen Tours. Was ist das Faszinosum dieses Heiligen, dass sich seine Geschichte bis heute ins kollektive Gedächtnis eingegraben hat?

Abgesehen davon, dass die Szenerie der Legende des Heiligen Martin äusserst theatral aufgebaut ist, führt sie uns etwas Allgemeinmenschliches vor Augen. Wir erleben zwei Menschen, die stark mit Vorurteilen behaftet sind. Martin gehört als Soldat zur gesellschaftlichen Elite und hat als Soldat eine Kaderschmiede durchlaufen, in der die jungen Männer geschliffen wurden, in der sie gelernt haben zu funktionieren, in der Gefühle keinen Platz hatten.

Ihm gegenüber sitzt der frierende Bettler, ohne Kleider, wie es in der Legende heisst, damit auch ohne Schutz, vogelfrei. Dennoch überwindet der Bettler seine Scham und seine Angst und geht auf den Soldaten Martin zu. Vielleicht hat er in ihm einen Menschen gesehen, der anders ist als alle anderen Soldaten, der sein Vorurteil widerlegt.

Umgekehrt steigt Martin buchstäblich herab von seinem hohen Ross und teilt mit dem Bettler seinen Mantel in dem Bewusstsein, dass er sich dadurch auch anderen gegenüber angreifbar machen könnte. Zwei Menschen mit vollkommen anderen Hintergründen überwinden ihre Vorurteile, gehen aufeinander zu und unterstützen einander, ohne darüber nachzudenken, was die anderen sagen.

So könnten auch wir handeln und ein Licht werden wie die Kinder, die zum Martinstag mit ihren Laternen durch die Strassen ziehen.

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