
Lastwagenfahrerin war einer meiner Traumberufe. Mein Vorbild war Nino, er belieferte wöchentlich den Lebensmittelladen unserer Eltern. Im Winter brachte er jeweils auch mehrere Sorten duftender, Fernweh weckender Orangen.
Das kleine Mädchen träumte davon, der Schweiz immer wieder Adieu sagen, in eine Fahrerkabine zu steigen, über die Berge und hinunter nach Italien zu fahren. Dort würde mein Blick dann über Haine mit Orangenbäumen schweifen und übers Meer, ich würde für einen Moment die Wärme und den tiefblauen sonnigen Himmel geniessen und mit Kisten voller Orangen zurück in den Norden fahren.
Schon bald müsste ich sicher wiederum los, weil alle begeistert wären von den köstlichen, in knisterndes buntes Seidenpapier eingewickelten Früchten.
Kürzlich stiess ich auf die Dissertation „Die italienische Küche in der Schweiz“ der Historikerin Sabina Bellofatto. Auf dem Titelblatt des Buches prangt … eine Orange! Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas liefert mir Hintergründe zu den als Kind erlebten ersten kulinarischen Kostproben aus dem Süden und dem damit verbundenen Fernweh.
Auch wenn wir uns längst daran gewöhnt haben, dass Orangen, Mandarinen, Zitronen und alle die Herrlichkeiten der italienischen Küche Standard in Lebensmittelsortimenten sind – für mich schlummert noch heute in jeder dieser Früchte ein leises „Addio“, ich bin dann mal weg. Mit meinem Lastwagen.