Foto: Beat Durrer

Rückblick 2019: Chorreise Ittigen/Bolligen

Kunst und Kontemplation

Nein, nach einem Schulreisli sah es nicht aus an den Einstiegstellen in Ittigen und Bolligen. Da gab es keine putzmuntere, quirlige, aufgeregte und erlebnishungrige Kinder, welche die Abfahrt kaum erwarten konnten. Es war vielmehr ein Stelldichein der reiferen Jugend, unsere Reisegesellschaft von Aktiv- und Passivmitgliedern des Kirchenchors, zum Teil mit Anhang. In Ehren ergraute Sängerinnen hatten sich eingefunden, "lauter reizende alte Damen" (Agathe Christie). Bemooste oder bereits kahl gewordene Häupter prägten das Bild bei den Männern. Zwar waren durchaus auch rüstige Rentnerinnen und sportliche Senioren auszumachen, aber ebenso ein stattliches Sortiment von Gehhilfen. Insgesamt also eine Gesellschaft von eher eingeschränkter Mobilität. Der Chor als solcher ist mit seinen bald 30 Vereinsjahren eigentlich noch relativ jung, aber seine Mitglieder sind doch sichtlich älter geworden und mit ihnen auch die Begleitpersonen, früher gern neckisch "Fan-Club" genannt. (Von "Groupies" zu sprechen wäre bei den heutigen Gegebenheiten doch etwas respektlos.)

Irene Pellet, unsere aufmerksame Chorbetreuerin und gewiefte Reise-Organisatorin hatte sich ein altersgerechtes, körperlich wenig anstrengendes und möglichst hindernisfreies Programm ausgedacht. Berechtigterweise anspruchsvoll war hingegen der zu absolvierende geistige Parcours. Im Zeichen der Kunst, genauer der Glasmalerei, stand zunächst der Besuch in Romont, dem Hauptort des Glane-Bezirks.

Das mittelalterliche Schloss, zuoberst auf dem Stadthügel, beherbergt das Vitromusée, das Schweizerische Museum für Glasmalerei und Glaskunst (vitromusée.ch). Allein schon die geglückte Symbiose von alter Bausubstanz und moderner Architektur ist sehenswert. Neben der wertvollen ständigen Sammlung bildet die Sonderschau "Reflets de Chine" (bis 1. März 2020) mit drei Werken aus drei Jahrhunderten Hinterglaskunst im Reich der Mitte eine ganz spezielle Attraktion. Kundige und angenehme Führerinnen haben uns den Zugang zu den Exponaten vermittelt

Praktischen Anschauungsunterricht gab es gleich anschliessend: Historische,  stimmungsvolle Glasfenster in der örtlichen Stiftskirche, von umwerfender Wucht die modernen Werke von Brian Clarke in den Kirchenfenstern des nahe gelegenen Zisterzienserinnenklosters La fille de Dieu (fille-dieu.ch). Der strahlend sonnige Tag  rückte die Glaskunst buchstäblich ins beste Licht, was den Genuss noch steigerte. 

Nach der Kunst war Kontemplation angesagt. Wir besuchten das in einer Saane-Schleife in Posieux, nahe Freiburg, idyllisch gelegene Zisterzienserkloster. Hauterive (abbaye-hauterive.ch). Bruder Michael führte durch Kirche und Kreuzgang und berichtete von der wechselhaften Geschichte des zeitweilig aufgehobenen Konvents. Dann der Höhepunkt. Mit dem Kanon "Schweige und höre" stimmten wir uns auf die Vesper mit der Mönchsgemeinschaft ein. Zu hören war dann der sehr gepflegte Chorgesang des feierlichen Stundengebets. Dazwischen und danach herrschte längeres, bewusst ausgedehntes Schweigen, für uns von Hektik geplagte Zeitgenossen eher gewöhnungsbedürftig, fast etwas anstrengend, aber im Ergebnis äusserst wohltuend und bereichernd. 

Nicht ganz in das Bild einer Oase der Stille passte, jedenfalls auf den ersten Blick, der betriebsame Klosterladen im Gewölbekeller. Nebst Devotionalien bietet er eine Fülle von profanen Produkten an, von Kosmetika aller Art über ein grösseres Alkoholika-Sortiment bis hin zu Nahrungsmitteln des täglichen Gebrauchs. Das mag überraschen. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass einiges aus eigener Produktion stammt und vieles aus befreundeten Klöstern des In- und Auslands. Es sind qualitative ansprechende  Artikel, die da angeboten werden und Klosterläden haben schliesslich Tradition. Schon die Benediktsregel sagt (in Kapitel 57), dass die Mönche mit dem Ertrag ihres Werkens zum Unterhalt der Gemeinschaft beitragen sollen. Den Besuchern wiederum bietet sich so die Gelegenheit, jedes Mal ein gottgefälliges Werk zu tun, wenn sie sich ein Schnäpslein monastischer Provenienz genehmigen.

Einmal mehr alles paletti auf der Chorreise? Fast. Wie immer war auch der diesjährige Ausflug bestens vorbereitet und organisiert. Doch vor Fremdpannen ist halt niemand gefeit. Irgendwo im Niemandsland zwischen dem Kaffee-Gipfeli-Halt in Neyruz (wo übrigens Jean Tinguély begraben liegt) und dem Etappenort Romont versagte unser Reisebus den Dienst. Eine Fehlfunktion (oder war es eine Fehlbedienung?) blockierte die gesamte Elektronik. Was jetzt? Aufgeregte Telefonate mit der Dysli-Zentrale. Worst-case-Szenarien kursierten. Von einem Ersatzbus war die Rede, was unsäglich lange gedauert und das ganze Programm über den Haufen geworfen hätte. Aber nach ca. 20 Minuten ging es dann plötzlich doch noch weiter. Ebenso rätselhaft wie der Defekt gekommen war, ist er auch wieder verschwunden.

Die Erklärung für dieses wundersame Glück im Pech ist wohl die gleiche wie die für das prächtige Reisewetter: Der Himmel ist unserem Chor ganz offenkundig gewogen. Er belohnt den eifrigen Einsatz zur musikalischen Bereicherung der Gottesdienste, den wir jahraus jahrein leisten. Ganz ohne Folge bleibt die Panne allerdings nicht. Mit gedämpfter Begeisterung werden wir im Restaurant "La Poularde" zum verspäteten Mittagessen begrüsst. Die Güggeli im Chörbli sind unterdessen nicht jünger geworden und die geplant grosse Light-Show mit dem Vacherin glacé muss dem Zeitdruck weichen. Die Reiseleiterin, die vorsorglicherweise ein Zeitpolster eingeplant hatte, meisterte alle Schwierigkeiten souverän und resümierte auf der Heimfahrt:" Die Buspanne brachte uns einigen Stress. In der Vesper erlebten wir dann die totale Entschleunigung. Jetzt sind wir alle wieder im Lot."

Nicht nur für diese treffenden Worte, sondern für ihre ganz grosse und einmal mehr perfekte Arbeit verdient Irene Pellet, die Chorbetreuerin, höchstes Lob. Sie hat uns eine kulturell und spirituell bereichernde Chorreise 2019 geschenkt. Der Chor darf sich die nächste Ausgabe, die im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums stehen wird, jetzt schon freuen. Bis dahin muss aber noch viel und vor allem schön gesungen werden, auf dass der Himmel uns wieder prächtiges Reisewetter bescheren und uns dannzumal von allen Pannen gänzlich verschonen möge.

Beat Durrer

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