Podcast vom 8. September

mit Johanna Ebell

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Bei der Restaurierung eines gotischen Kruzifixes aus dem ehemaligen Schottenkloster in Regensburg machte man eine sensationelle Entdeckung: Im Hinterkopf der Figur des Gekreuzigten fand man in einem Hohlraum ein Reliquiar in Schmetterlingsform.

Die feuervergoldete Emailarbeit aus Silber zeigt die Kreuzigung Christi mit Maria und Johannes. Als Entstehungszeit des kostbaren Fundes nimmt man die Zeit um 1310/1320 an. Über die Schönheit des Kleinodes hinausgehend, liegt seine Bedeutung in der Verbindung von Todesdarstellung und Schmetterlingsgestalt.

Schon im Altertum und in der Zeit der frühen Christen war der Schmetterling Sinnbild der Verwandlung vom Tod zum Leben. Christus, der die Erfahrung der Dunkelheit gemacht hat bis hin zum gewaltsamen Tod am Kreuz, durchbricht die Grenzen des Todes und wird von Gott zu neuem Leben erweckt.

Höchste Zeit für die Schöpfung oder eine Schmetterlingsgeschichte

«Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüst und leer und Finsternis lag auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser» Genesis 1,1-2

Das sind die ersten Sätze der Bibel. Die Erde ist nach ihrer Schöpfung wüst und leer oder wie es auf Hebräisch heisst: Es war «tohu wa bohu». Doch der «Geist Gottes» schwebte über dem Wasser und auf geheimnisvolle Weise entsteht dann aus dem «tohu wa bohu» eine immer hellere und buntere Welt. Eine Welt voller Leben im Wasser, in der Luft und auf der Erde.

Eine Welt, die schöner nicht sein kann. Der Geist Gottes, der über dem Wasser schwebte, hat ein Tor geöffnet.
Ein Tor aus der Ewigkeit in die Gegenwart. Eine Gegenwart, in der eine göttliche Kraft «gegenwärtig» ist, «anwesend» ist, sinnlich erfahrbar: - ruach – das hebräische Wort für Geist bedeutet auch: Wind, Atem, Hauch

Ruach elohim: Hauch Gottes.

«Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub aus der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.» Gen 2, 7.

Gott erschafft mit seinem Atem – Ruach! Das erfahren wir auch aus dem sogenannten Schöpfungspsalm 104: Da wird von Tieren des Waldes erzählt, die von Gott ihre Nahrung fordern, den Vögeln, dem Mensch, ja, überhaupt von Gottes Geschöpfen. Es heisst da: «Sie alle warten voll Sehnsucht auf Dich, dass Du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit». Ps 104, 27.

Und es heisst weiter: «Verbirgst Du Dein Angesicht, so erschrecken sie, nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.» Verbirgst Du, Gott, gerade jetzt in unserer Zeit Dein Angesicht? Kriege toben, Wälder brennen, der Mensch ist des Menschen Feind! Schaust Du, Gott, gerade weg?

Im Psalm 104 wird uns zugesichert: «Du sendest aus Deinen Odem, so werden sie geschaffen und Du machst neu das Antlitz der Erde.» Ps 104, 29-30.

Wie sehr wünschen wir uns gerade jetzt, hier und jetzt, in unserer gegenwärtigen Weltsituation, dass das Antlitz der Erde neu werde! Es ist höchste Zeit!

Tod und Leben sind in diesem Psalm 104 kunstvoll verschmolzen. Und deutlich wird, dass die Schöpfung bis heute nicht abgeschlossen ist. Und dass neben der Schönheit auch die Schattenseite steht: Naturkatastrophen, Klimawandel -  für uns heute schmerzhaft spürbar! «Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.» So spricht schon Paulus im Brief an die Römer Röm 8, 22.

Das «Seufzen der Schöpfung»: ein Ausdruck für den noch unerlösten Zustand der Welt, in der wir leben. Die Welt, «ein grosses Hospital», nennt Goethe es.

Und die Geburtswehen sind ein Ausdruck dafür, dass aus Bedrängnis und Schmerzen schliesslich neues Leben wird. Leben und Tod / Stirb und Werde / Geheimnis des Lebens!

So wie die biblischen Geschichten und Psalmen menschliche Erfahrungen, menschliches Glück und menschlichen Schmerz – eben Leben und Tod in Bilder fassen und Ausdruck verleihen, finden wir das auch in der Lyrik durch Jahrhunderte hin wieder.

In Gedichten der jüdischen Dichterin Nelly Sachs, die sie unter dem Eindruck grauenvollsten jüdischen Schicksals geschrieben hat, finden wir die Figur des Lebens, das den Tod immer schon weiss.

Mit dem Bild der Raupe, die sich nach todesähnlichem Zustand zu einem Schmetterling entpuppt, zeichnet Nelly Sachs: Sehnsucht – Verzauberung – verlorene Träume und die Trauer der Seele, die – wie sie formuliert – «zusammengefaltet wartet auf ihre Neugeburt unter dem Eis der Todesmaske.» Die Raupe musste ihre «traumseligen Erdreiche» verlieren, damit der Schmetterling aufsteigen, das heisst, auferstehen könne, herauf durch Tiefen, deren Mass die Trauer ist: So heisst es in dem Gedicht:

«Wohin, wohin, du Weltall der Sehnsucht, dass in der Raupe schon dunkel verzaubert die Flügel spannt… den Anfang beschreibt in Wassertiefen, die ein einziges Herz ausmessen kann mit dem Senkblei der Trauer.»

Und dann: Aus einem Tod hervorgegangen lebt der Schmetterling und besteht fort im Rhythmus des unverwundeten Ewigkeitszeichen. Leben und Tod!

Der Staub – auf den Flügeln des Schmetterlings- das Zeichen der Vergänglichkeit, ist doch zugleich sein bunter Flügelstaub, der bestimmt ist, die schöne Zeichnung des Jenseits zu tragen.

Schmetterling

Welch schönes Jenseits ist in deinen Staub gemalt. Durch den Flammenkern der Erde, durch ihre steinerne Schale wurdest du gereicht, Abschiedswebe in der Vergänglichkeiten Mass.

Schmetterling aller Wesen gute Nacht! Die Gewichte von Leben und Tod senken sich mit deinen Flügeln auf die Rose nieder die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.

Welch schönes Jenseits ist in deinen Staub gemalt. Welch Königszeichen im Geheimnis der Luft.

Nelly Sachs, 1961

«Schmetterling - aller Wesen gute Nacht!»

Jene letzte Harmonie, in der einst alles zur Ruhe kommen wird. Die Gewichte von Leben und Tod, so leicht nun, dass Schmetterlingsflügel sie tragen, «senken sich mit deinen Flügeln».

Die Rose trägt «schon eine Knospe Tod auf den Lidern, denn mit der sinkenden Sonne ist die Zeit reif und erfüllt.»

Gereift ist auch die Schönheit des Jenseits, dessen Chiffre in den «Sehnsuchtsstaub» gemalt ist, «Königszeichen im Geheimnis der Luft».

Ein Bild liegt vor mir.

Ein Schmuckstück, ein Schmetterlingsreliquiar mit Kreuz aus dem 14. Jahrhundert. In der Mitte, dem Körper des Schmetterlings, der Gekreuzigte und rechts und links von ihm auf den ausgebreiteten Flügeln, Maria und Johannes. Die Kreuzigungsszene! Und als Untergrund und Hintergrund der Schmetterling: Symbol des Sterbens und des Auferstehens, des Vergehens und Neu Geschaffen Werdens.

Ich möchte nicht aufhören zu hoffen, auch wenn ich schon am Ende meines Lebens stehe.

Ich sehe den Zustand der Welt und halte mich gerade deshalb so gerne an die Worte des Propheten Jesaja 43,19

So spricht er Herr, euer Erlöser: «Seht her, nun mache ich etwas Neues, schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?»

Literatur:
Lutherbibel in der revidierten Fassung 2017
Die Gedichte der Nelly Sachs «Fahrt ins Staublose», Suhrkampverlag 1961
Jörg Lauster «Der heilige Geist»,  C. H. Beck 2021

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