Foto: Bruder Klaus Biel

Vertreibt die Dämonen der Ausgrenzung

DIE QUEERE FEIER ZUM COMING-OUT-DAY IN BRUDER KLAUS BIEL FAND ÖKUMENISCH UND ZWEISPRACHIG STATT.

Ökumenisch und zweisprachig war die queere Feier zum Coming-out-Day in der Bieler Kirche Bruder Klaus

Unter dem Motto "Vertreibt die Dämonen der Ausgrenzung" fanden sich Menschen in der Kirche Bruder Klaus zu einer weiteren queeren Feier der Reihe All inclusive ein. Ökumenisch und zweisprachig. Anlass war der Coming-out-Day. - Wie im Vorjahr wurde die Feier in Bruder Klaus vom Arbeitskreis Regenbogenpastoral des Bistums Basel mitgetragen, zusammen mit dem Pastoralraum-Biel-Pieterlen, dem reformierten Arbeitskreis für Zeitfragen, der Eglise réformée de Bienne und der Unité pastorale de Bienne et La Neuveville.
Die Predigt hielten Peter Bernd, katholischer Pfarrer in Biel/Bienne, und Noël Tshibangu vom Arbeitskreis für Zeitfragen.

Im Anschluss trafen sich alle zu einem anregenden Plausch und Apéro im Pfarreizentrum. Weitere queere Feiern sind zum Transgendertag zusammen mit und in Basel und für den ersten Weihnachtsfeiertag am Abend in Biel/Bienne geplant.

Inspiriert zur Thematik der Feier hat das neue Buch von Luzia Sutter Rehmann "Dämonen und unreine Geister. Die Evangelien gelesen auf dem Hintergrund von Krieg, Vertreibung und Trauma". Die Predigten schlugen einen Bogen von damals mit Bezügen und Zitaten in die aktuelle queere Thematik.

Dokumentiert sei hier die deutschsprachige Predigt:

Die gehörte Übersetzung von Versen aus dem ersten Kapitel des Markusevangeliums ist ganz stark: «Sofort vertrieb, sofort schleuderte die Geistkraft Jesus an einen Ort der Verwüstung.»
Solche Sprache ist notwendig auf dem Hintergrund des jüdäisch-römischen Krieges (66-74 n.Chr.), der in unvorstellbaren Grausamkeiten und einem grenzenlosen Morden Land und Menschen verwüstete. Dahinein erzählt Markus die erinnerte Geschichte von Jesus Messias. – Das griechische Wort ‘eremos’ nicht mehr übersetzt mit ‘Wüste’, wo Stille wäre zum Meditieren; sondern Ort der Verwüstung, an dem die stummen Todesschatten noch zu schreien scheinen.
Ein Ort: Belagert, so die Vorstellung, von Dämonen: Sprachlich-bildhafte Verkörperung für die unsagbare Unbewohnbarkeit, für den unsagbaren Gestank der Leichen, für die unsagbare Hitze des verbrannten Bodens, für die unsagbare Verachtung von Menschen.
Wenn der Evangelist Matthäus später die Szenerie der Verwüstung erzählerisch ausweitet: Der Satan, Verkörperung der Mächtigsten und Reichsten der Welt, habe Jesus am Ort der Todesschatten dreimal versucht, ihn herausgefordert, auf ihre Seite zu wechseln: «Alle Reiche dieser Welt gebe ich dir…» – Dann stehen diese Reiche für all das, was Menschen kaputt und klein macht, sie an den Rand des Lebens drängt oder der Verachtung preisgibt.

Jesus stellt sich den Todesschatten. So wird seine Geschichte aufgeschrieben und damit erzählt.
Von dort spannen wir in dieser Feier den Bogen hin auf den Coming-out-Day. Da wird uns ganz viel einfallen zu Orten, die für queere Menschen unbewohnbar sind. Zu Orten, an denen Dämonen der Ausgrenzung und sogar eines drohenden Todes sitzen. Zu Orten oder manchmal zu einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, an den du dich gerade erinnerst, der für dich zu einem verwüsteten Ort geworden ist – schon allein durch eine gewalttätige Sprache: In einer Schulklasse, auf dem Sportplatz, am Arbeitsort, in der Freundesclique, in der Kneipe, im Wohnzimmer… Gewalttätige Sprache, die auch und immer noch hörbar wird in Gruppen und kirchlichen Kreisen, die Bibel in fundamentalistischer Selbstbestätigung lesen und menschenverachtend umdeuten.
Vielleicht denkt ihr im Zusammenhang der Rede von Dämonen gerade auch an Menschen, die einer bestimmten heteronormativen Weise zu leben, zu lieben, sich zu benehmen oder zu kleiden, nicht entsprechen wollten oder wollen.
Hier kommt für mich die wichtige Einsicht ins Spiel, die ich eingangs genannt hatte: Dass dieses Wort ‘ekballein’ nicht mit ‘austreiben’, sondern mit ‘vertreiben’ übersetzt werden muss. Es sind nicht einzelne Menschen das Problem, die man krank redet, die man dämonisiert, deren Mobbingerfahrung geleugnet wird, die von irgendetwas besessen sind, das man austreiben müsse durch Gebet oder eine angebliche Therapie.
Die biblische Rede von Dämonen darf nicht so, nämlich unpolitisch und unsozial gelesen werden. Sondern ganz anders: Es geht darum, sagt Luzia an einer Stelle ihres Buches, «die Gewalt, die Not, den Fluch, der auf einem Dorf oder Haus liegt, all die Konflikte und Schatten, die in der Umgebung von verletzten und verstörten Menschen herrschen, zu entfernen».
Wie viele Geschichten können queere Menschen erzählen, die solches Umlagert-Sein von «Dämonen» erlebt haben.
Nie sind die Menschen falsch, sagt die Bibel. Und gerade die biblischen Erzählungen von und über die Vertreibung von Dämonen, wollen Menschen befreien, zu leben, was sie sind, zu sprechen darüber, wer sie sind, damit und vielleicht auch indem aus der großen Landschaft unserer Gesellschaften endlich jede festsitzende Ausgrenzung, Verfolgung von Menschen und jede gewaltvolle Sprache und die Gewalt selber vertrieben würden.
Das Coming-out-of-the-closet von Menschen erinnert an einen Mut, der selber dazu beigetragen hat, dass diese Dämonen vertrieben wurden. Aber die Aufgabe dazu liegt bei allen und gilt immer.
Es ist so wichtig, die private Welt und die öffentliche durchlässig zu machen: Jeder Schritt out of the closet bedeutet Befreiung.

Wir haben auch die letzten acht Verse dieser bemerkenswerten Jesusgeschichte gehört: Mit Furcht, Sprachlosigkeit, Erstarrung, unübersehbarem Schweigen – so endet das Markusevangelium abrupt und fast verstörend. Kein Auferstehungsgetöse. Jesus ist tot. Die Dämonen sind nicht weg aus dem Land. Aber das Grab ist leer. Hier sind sie nicht.
Dieses Schweigen der letzten treuen Zeug*innen, sagt Luzia, steht für eine Generation von schwergetroffenen Menschen, die Unsägliches erlebt haben. Es ist gerade dieses Schweigen, das Raum für Unsagbares eröffnet, der, ohne schon zu erzählen, Erlebtes gegenwärtig und teilbar macht.
Die Frauen werden auf den Weg geschickt, den der Messias Jesus gegangen ist. Und offensichtlich sind sie ihn gegangen, sonst wären wir heute nicht hier. Sie sind aus dem Exil des Schweigens herausgekommen. Und sie haben Dämonen vertrieben und ermutigende Geschichten vom Leben erzählt.
So schicken uns die alten Texte ins Hinhören und Hinschauen, auch ins Schweigen und hoffentlich ins Erzählen. Z.B. von der Sehnsucht nach einem sicheren Ort. Vom Anspruch auf Boden unter den Füßen. Von einer gemeinsamen Heimat all derer, die nicht mehr zu Hause waren oder sind.

Ganz am Anfang ihres Buches erinnert Luzia daran, dass die hebräische Bibel die Menschen als Erdgeschöpfe bezeichnet. Sie sind Adam von adamah (Erdboden). «Sie sind rot, braun, hell, ocker, schwarz wie adamah; sie sind zarthäutig, dickhäutig, lederhäutig, hellhäutig, grobkörnig, feingliedrig, hochstämmig, niederwüchsig, buschig, kahl, sanft, laut, bunt, schön – wie adamah auch». Sie sind queer wie adamah auch und wie es Gott ist in seiner/ihrer fraulich-männlich-queeren Viellebendigkeit.
Und mit jedem Mal, wo wir mit einem Wort, einer Geste, einer Umarmung, unseren Tränen und unserem Lachen Dämonen von Unverstand und Ausgrenzung vertreiben, wird der Erdboden wieder zur gemeinsamen Heimat, zum Lebensort all derer, die kein Zuhause mehr hatten.
Überall dort treten Menschen heraus aus dem Verstecken und der Erstarrung und öffnet sich der Raum des Schweigens zu einem Erzählort von Liebe und Leben. Treten wir hinaus an den Tag.

Peter Bernd

 

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