Es sieht nicht gut aus für die Kirche. Zu diesem Schluss kommt, wer die Mitgliederentwicklung der Landeskirchen beobachtet. Es sieht gut aus für die Kirche. Zu diesem Schluss kommt Eva Baumann-Neuhaus. Allerdings nur, wenn die Kirche bereit ist, sich neu zu erfinden, meint die Ethnologin und Mitarbeiterin des Pastoralsoziologischen Instituts SPI.
Die Zahlen sprechen für sich – und gegen die Kirche, so wie wir sie kennen: In wenigen Jahren wird es in der Schweiz erstmals mehr Kirchen-Nichtmitglieder geben als Kirchenmitglieder. An der kantonalen Sitzung der Kirchgemeindepräsidien in Bern rechnete der Volkswirtschaftler Michael Marti von Ecoplan vor, dass die katholische Kirche in der Schweiz von heute 2,5 Millionen auf rund 1,7 Millionen Mitglieder im 2045 schrumpfen werde. Dies ist eine der Hauptaussagen der Ecoplan-Studie «Zukunft der Kirchenfinanzen». Die Kirchen würden damit nicht nur kleiner, sondern auch irrelevanter. Es sei «sehr unrealistisch, diese Entwicklung bremsen zu wollen».
Nicht weniger vom Gleichen
Eine, die genau das von der Kirche erwartet, ist die Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Eva Baumann-Neuhaus. Ja, die Kirche als Institution werde wohl kleiner, sagt sie. Das sei aber kein Grund zu resignieren. «Wir sollen uns in Zukunft nicht einfach mit weniger vom Gleichen zufriedengeben.» Sie fordert die Pfarreien und kirchlichen Institutionen auf, neue Formen der Zuwendung zu den Menschen zu schaffen.
Das könne etwa mehr Partizipation und neue Formen bedeuten, eine verständlichere Sprache, ein Überdenken und Aufweichen der territorialen Organisation – und manchmal auch schlicht die Möglichkeit, etwas auszuprobieren und dabei scheitern zu dürfen. Da der Rückgang der Einnahmen aus den Kirchensteuern nicht parallel zu den sinkenden Mitgliederzahlen, sondern mit etwas Verzögerung erfolgt, habe die Kirche jetzt ein Zeitfenster, sich neu aufzustellen.
Nur der letzte Schritt
Baumann-Neuhaus rief in Erinnerung, dass ein Kirchenaustritt in den wenigsten Fällen spontan aus heiterem Himmel erfolge. «Hinter jedem Austritt steckt eine persönliche Geschichte», betonte sie. «Ein Austritt ist meist nur der letzte Schritt eines langen Weges der Entfremdung.» Dabei sei die eingesparte Kirchensteuer so wenig matchentscheidend wie die persönliche Spiritualität. Meist seien es schlechte Erfahrungen mit der Kirche und ihren Exponenten, die zum Austritt führten.
Sie folgerte, dass die Relevanz der Kirche erfahrbar werden müsse – und zwar nicht nur für die Mitglieder, sondern für die gesamte Bevölkerung. Glauben müsse erfahren und gelernt werden können. Menschen wollten nicht belehrt werden, sondern sich beteiligen können.
Die Wissenschaftlerin wünschte den rund siebzig anwesenden Vertreterinnen und Vertretern der Kirchgemeinden, der Pastoral und der Fachstellen «Mut zum Aufbruch». Denn ohne Konflikte werde eine solche Umkehr nicht möglich sein.
Bericht Ecoplan "Zukunft der Kirchenfinanzen"
Rapport Ecoplan "Avenir du financement ecclésial"
Präsentation des Berichts (Michael Marti)
Präsentation Kirchenaustritte - Analysen und Perspektiven (Eva Baumann-Neuhaus)