An einem lauschigen Ort in Niederwangen befindet sich ein altes Bauernhaus, in dem Kinder und Jugendliche ein Daheim gefunden haben: Die Sozialpädagogische Wohngruppe Wolf bietet zwölf jungen Menschen einen Platz, die nicht bei ihren Eltern leben können. Hier fühlen sie sich sicher – mit dabei sind jede Menge Tiere.
Von Christina Burghagen
«Zehn Jahre lang habe ich ein Mädchen im Schulheim Landdorf als Sozialpädagogin betreut», blickt Christiana Colliard zurück. Als das Mädchen volljährig geworden sei, habe es kommentiert: «Jetzt gehe ich weg, aber wie kann ich zurückkehren? Dann ist ja niemand mehr da», erzählt die Leiterin der SOKI Wolf GmbH, wie die kleine Institution seit letztem Jahr heisst. Das war für Chrigi, wie sie alle nennen, ein entscheidendes Erlebnis. Es war quasi die Initialzündung für ihre Vision einer Jugend-Wohngruppe. Dort können Kinder ein Zuhause finden und als «grosse Wölfe» nach ihrem Auszug jederzeit zurückkehren. «Auch junge Erwachsene brauchen ab und zu noch Unterstützung oder Trost», erklärt die Leiterin ihre Haltung. Die Türen stünden jederzeit offen: «Wir pflegen den Familiengedanken, treffen uns regelmässig und feiern etwa gemeinsam Weihnachten und andere Feste.»
Besonders wichtig sind für die Sozialpädagogin zudem die Tiere als Therapeuten auf vier Beinen, die mit im Haus leben. Die ausgebildete Reittherapeutin weiss um die für Menschen heilenden Kräfte beim Umgang mit Tieren. Deshalb habe sie ihre Pensionskasse geleert und ein Haus für sechs Kinder gekauft. Im Jahr 2002 stellte sie ihr sozialpädagogisches Konzept dem kantonalen Jugendamt vor und beantragte eine Bewilligung, die ein Jahr später auf dem Tisch lag. «Wir bewegen uns zwischen Pflegefamilie und Kleininstitution», erklärt Chrigi Colliard als Gesamtleiterin von «Team Wolf» und dem «Bienenhaus» für Mutter und Kind in Bern. Hinzu kommen die Wohngruppen «Seestern» und «Welpen».
Tiere als Therapeuten
Aufgenommen werden Kinder und Jugendliche, weil die leiblichen Eltern aus verschiedenen Gründen nicht genügend für sie da sein können. Das Ziel ist einerseits die persönliche Entfaltung der Kinder und Jugendlichen zu Eigenständigkeit und Lebensbejahung, anderseits die gesellschaftliche Eingliederung. Geachtet wird darauf, jedem Kind wertschätzend zu begegnen und seine Einzigartigkeit zu respektieren. Soweit das möglich ist, werden Eltern und Angehörige in die Erziehungsarbeit mit einbezogen.
Kinder, die in ihren Beziehungen oft enttäuscht und dann misstrauisch geworden sind, können sich gegenüber Tieren leichter öffnen, Zärtlichkeit zeigen, Fürsorglichkeit und Verantwortung entwickeln. Deshalb bellt, schnüffelt, wiehert oder miaut es in der Wohngruppe Wolf an allen Ecken. Jedes Kind, alle jungen Bewohnenden fühlen sich mindestens für ein Tier verantwortlich. Es sei immer wieder zu beobachten, dass die Schützlinge zu ihrem Tier gingen, wenn sie wütend seien, sich unverstanden fühlen oder Kummer hätten, erzählt Colliard. Die Pflege eines Tieres sei oft der erste Schritt im Aufbau der Beziehung zu einem Menschen. Manchmal flüstern Kinder und Jugendliche einem Tier etwas ins Ohr, das sie einem Menschen noch nicht sagen würden. Das Tier hört zu. Und es kritisiert nicht. Vergrabene Verletzungen werden so ein erstes Mal ausgesprochen und können beginnen zu heilen.
Lieblings-Ämtli Treppe putzen
Doch nicht nur der therapeutische Aspekt ist erwünscht: Mit der Pflege eines Tieres wird die Freizeit sinnvoll verwendet, das Kind lernt Zuverlässigkeit und sieht den Sinn dieser Arbeiten unmittelbar ein. Die Arbeiten sind von der Natur gegeben und müssen erledigt werden.
Die Tierpflege der Kinder wird von den Fachfrauen und -männern gefördert und begleitet, damit nichts schiefgeht. Es komme sehr selten vor, dass Kinder ihre Wut am Tier auslassen. Das Gegenteil sei der Fall, weiss Chrigi. Es sei ihnen wichtig, dass alle Tiere artgerecht gehalten würden und genügend Platz haben.
«Mein Team und ich schaffen den Spagat zwischen professionellem Arbeiten und familiärer Atmosphäre gut. Für mich ist es wichtig, dass meine Mitarbeitenden die gleiche Vision haben.» Der Name Chrigi fällt im Laufe des Tages an die hundert Mal, meint die Leiterin lachend. «Mein Lieblingsämtli ist Treppe putzen», erklärt ein Junge. Ein anderer balanciert für seine Chrigi eine Tasse Kaffee zum Tisch. Treppen gibt es eine Menge im Haus, dazu gemütliche Jugendzimmer. Nur die «Lausbuben» bekommen ein Doppelzimmer, sonst hat jede und jeder ein eigenes Reich. Mitgliedschaft im Verein, Musikunterricht, Sport oder Therapie – jede und jeder hat einen ausgefüllten und strukturierten Tagesablauf. Für eine gesunde Ernährung sorgt Haushälterin Almaz Tafla, die täglich viel Salat und Gemüse auftischt. Aber vegetarisch würden sie nicht leben. Jetzt im Sommer würden sie oft bräteln, alle lieben Cervelat und Pizza.
«Ich habe in den 20 Jahren wahnsinnig viel von allen Kindern gelernt und besuche auch regelmässig Weiterbildungen», sagt Chrigi Colliard, «Immer wieder vorwärtsgehen, wach bleiben, neu denken – das gilt für mich genauso wie für meine Kinder.»
Weitere Infos: www.team-wolf.ch
Hilfe für Kinder- und Jugendprojekte
Die Katholische Kirche Region Bern fördert zahlreiche soziale Projekte in ihrem Einzugsgebiet. Ein Schwerpunkt liegt derzeit auf der Förderung von Kinder- und Jugendprojekten.
So erhielt kürzlich das wichtige (Sorgen-)Telefon 147 der Pro Juventute ebenso eine grösszügige Unterstützung wie der Mittagstisch und die offene Stube im Generationenhaus, die frauenspezifische Wohngruppe Heimgarten in Bern-Ost oder Hallers Brasserie der Stiftung Steinhölzli mit Praktikumsplätzen für benachteiligte Jugendliche. Auch das Team Wolf bekam eine Förderung und bedankte sich mit einem «Grossen Merci» bei der Katholischen Kirche Region Bern. Der Betrag fliesst in die Betreuung der so genannten Care-Leaver, also der «grossen Wölfe», welche die Wohngruppe verlassen. Zudem konnten die Kinderzimmer neu eingerichtet werden und sogar einige Pferdetherapie-Stunden bezahlt werden. Auch hier haben Kirchensteuern eine direkte positive Auswirkung.
Informationen zu den sozialen Projekten der Katholischen Kirche Region Bern