Die Kursteilnehmerinnen üben in der Turnhalle Esplanade in Biel wie sie sich auch körperlich gegen Gewalt verteidigen können.

Mädchen entwickeln Selbstsicherheit und ein gutes Körpergefühl

„Stopp“, „Nein“, tönt es laut durch die Turnhalle Esplanade in Biel. Vierzehn Mädchen im Alter zwischen 12- und 14 Jahren üben mit Christine Paratore, Pallas-Trainerin aus Solothurn, Selbstbehauptungs-und Selbstverteidigungstechniken. Organisiert hat den zweitägigen Kurs die Fachstelle Jugend der röm.-kath. Kirche in Biel.

"Ziele des Kurses sind, dass die Mädchen sich selbstbewusster fühlen, sicherer auftreten und wahrnehmen können, wo die Gefahren allenfalls auch sind", erklärt Christine Paratore. Sie ist Mitglied bei "Pallas", der schweizerischen Interessengemeinschaft Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen. Diese Organisation engagiert sich seit über zwanzig Jahren in aktiver Gewalt- und Sicherheitsprävention, in Form von Selbstverteidigungskursen und mit der Ausbildung von Pallas-Trainerinnen und -Trainern.

Ein wichtiges Thema sei immer, wo eigentlich die grösseren Gefahren bestehen. Viele Menschen haben Angst vor dem bösen Fremden, deshalb gelte es aufzuzeigen, dass die meisten Gewalttaten im näheren Bekanntenkreis verübt werden. Auch auf sexuelle Gewalt unter den Jugendlichen selber müsse hingewiesen werden. "Aber natürlich sollen dabei die vorhandenen Ängste trotzdem ernstgenommen und nicht etwa verdrängt werden, " meint die Pallas-Trainerin.

Die Stimmung in der Turnhalle Esplanade bei den ersten körperlichen Übungseinheiten ist fröhlich. Offenbar wirkt es befreiend mit den Armen oder den Füssen auf abfedernde Polster zu schlagen, welche von den Kolleginnen entgegengehalten werden. Die Mädchen sollen ihre Schläge mit "Stopp" oder "Nein"-Rufen begleiten und dabei erfahren, wie sich dabei ihr körperliches Auftreten verändert . In manchen Gruppen macht sich zunehmend Ernsthaftigkeit breit und auch das Bewusstsein, dass sie fähig sind, Kraft zu entwickeln, wenn sie sich nur getrauen. Für die Teilnahme am Kurs gibt es keine Vorbedingungen etwa zur körperlichen Fitness. Pallas vertritt die Haltung, dass sich jede Person im Rahmen ihrer Möglichkeiten verteidigen kann. Geübt werden Techniken, die in relativ kurzer Zeit erworben werden können und an die man sich auch noch ein Jahr später erinnert.

Aber macht es tatsächlich Sinn, sich - etwa gegenüber stärkeren Männern - körperlich auseinander zu setzen? Doch, meint die Trainerin. In der Regel genüge eine relativ leichte Gegenwehr: laut werden, Stopp sagen, sich klar behaupten. Je früher man sich wehre und äussere, umso grösser sind die Chancen, dass die Gewaltbereitschaft abnimmt. "Erschwerend ist wie erwähnt die Tatsache, dass die meisten Übergriffe im engeren Bekanntenkreis stattfinden. Gegen einen Fremden sich zur Wehr setzen, da sind die Hemmungen viel kleiner, als wenn es ein Bekannter oder Verwandter ist, mit dem man in Beziehung steht."

Angesprochen auf die Motivation, an diesem Kurs teilzunehmen, erwähnt eine Teilnehmerin wie zur Bestätigung, dass sie starke Konflikte mit ihrer Stiefmutter habe und sich nun erhoffe, hier mehr Selbstvertrauen aufzubauen, um sich behaupten zu können. Ihre Kollegin findet es positiv, dass bei diesem Angebot die Mädchen unter sich sind und nicht durch die Jungs abgelenkt werden. Eine weitere Teilnehmerin hat schon hautnah - ohne selber Opfer zu werden -Gewalt unter Jugendlichen mitbekommen. Sie möchte sich im Kurs die Sicherheit erwerben, dass sie sich im Notfall auch tatsächlich wehren kann.

Für Eliane Muff von der Fachstelle Jugend der röm.-kath. Kirche Biel war dies auch der Grund einen solchen Selbstverteidigungskurs für Mädchen zu organisieren. Diese sollen die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Körpers erfahren, ein gutes Körpergefühl entwickeln und Selbstsicherheit aufbauen in einem geschützten Umfeld. "Ausserdem", so die Fachstellenmitarbeiterin, "steht bei der Mädchenarbeit oft der Spass im Vordergrund. Es ist für mich daher wichtig, auch ein Angebot mit Lerneffekt anzubieten, das entwicklungsfördernd ist."

Selbstverständlich aber ist Gewalt nicht nur ein Mädchenthema. Für Christine Paratore hat es mit der Sozialisation zu tun, dass in unserer Gesellschaft Buben weniger als Opfer wahrgenommen werden. Dies passt nicht zu ihrem Rollenbild. Wegen solchen Rollenbildern findet sie es sinnvoll, wenn Männer mit Buben zum Thema Gewalt arbeiten und ihnen aufzeigen: Auch Buben können, dürfen Angst haben.

Bei so viel Gedanken zum Thema Gewalt bleibt festzuhalten, dass die Gewalt unter Jugendlichen im Vergleich zu früheren Zeiten nicht unbedingt zugenommen hat. Einzelne Statistiken stellen sogar eine rückläufige Zahl an Gewalttaten fest. Verringert hat sich aber die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Taten. So bleibt zu hoffen, dass die kursteilnehmenden Mädchen in Zukunft vor allem ihr gewonnenes Selbstvertrauen und weniger ihre Schlagtechniken einsetzen müssen.

Niklaus Baschung (Text und Foto)

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