Schreibdienst gegen Bürokratie

Schreibdienst "jegi-hilft" für Erwachsene in Jegenstorf

Amtssprache und Formalitäten überfordern manche Menschen. Noch kniffliger wird es, wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist. Hier hilft der 2020 gegründete Schreibdienst ­«jegi-hilft» in Jegenstorf weiter, der im Franziskushaus regelmässig für Hilfesuchende da ist.

«Im Kinderfall unserer Stadtgemeinde ist eine hier­orts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt», heisst es in Thaddäus Trolls «Rotkäppchen in Amtsdeutsch» und hat damit schon viele Lacher geerntet. Weniger zum Lachen ist Betroffenen zumute, die ­einen Brief von einem Amt aus dem Briefkasten ziehen und schon vor dem Öffnen wissen: Das Geschreibsel versteht kein Mensch, vor allem wenn er eine andere Muttersprache als Deutsch spricht. Angesichts von Amtssprache und lokalem Dialekt kann in Jegenstorf der Schreibdienst «jegi-hilft» eine rettende Hilfe sein.

Alle sind willkommen

Mit der Eröffnung einer Notunterkunft für Asylsuchende entstand 2016 eine Partnerschaft ­zwischen der politischen Gemeinde Jegenstorf, der reformierten Kirchgemeinde Jegenstorf-­Urtenen und der katholischen Kirchgemeinde St. Franziskus Zollikofen. Seither laufen unter der Marke «jegi-hilft» Angebote wie ein Begegnungskaffee, das Lernfoyer Deutsch, ein Mathematikkurs, Betreutes Wohnen und seit Herbst 2020 der Schreibdienst. In enger Kooperation mit der von den Kirchen getragenen Berner Beratungsstelle «TRiiO» (Trägerschaft impuls + intact + Ohni Büez) wurde ein Konzept erarbeitet, um Hilfesuchende zu unterstützen. «Für uns gilt, dass jede Person, die zu uns kommt, mit einem Ergebnis hinausgeht», sagt Norbert Graf, der Leiter des Schreibdienstes.

Alle Erwachsenen, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus, können den Schreibdienst in Anspruch nehmen, der jede zweite Woche abends berät, nach Anmeldung. Das Lesen und Verstehen von amtlichen Briefen und Dokumenten, einfache Korrespondenz in deutscher Sprache, Formulare ausfüllen, ein Bewerbungsdossier zusammenstellen oder einen amtlichen Brief beantworten bedeute für viele Menschen eine Herausforderung, weiss Graf. Noch schwieriger sei es für Personen, die mit der lokalen Sprache oder Amtsdeutsch nicht vertraut sind. Hier setzen Schreibdienste an, meist von Freiwilligen unentgeltlich geführt. Oft übernehmen Gemeinden, Kirchgemeinden oder Hilfsorganisationen die Trägerschaft und eine Teilfinanzierung.

Anlaufstelle Franziskushaus

Bei «jegi-hilft» engagieren sich derzeit acht Freiwillige im Schreibdienst, wobei einige immer verfügbar sind. «Unser Ziel sind acht bis zehn ehrenamtliche Beraterinnen und Berater, auf die wir immer zählen können», wünscht sich Norbert Graf. Die Beratungsstelle «TRiiO» bietet den Freiwilligen vorab einen halbtägigen Kurs an und vermittelt «jegi-hilft» Informationen zur Begleitung der Hilfesuchenden.

Die katholische Pfarrei stellt die Räume im Franziskushaus Jegenstorf und Technik wie Laptops und WLAN unentgeltlich zur Verfügung. Swisscom und die Dorfpapeterie unterstützen die Initiative. Durch Artikel in Printmedien, die Vernetzung mit den Gemeinden und dem Sozialdienst sowie Aushängen in Gemeindekästen konnte sich der Schreibdienst bekannt machen. Auch Mund-zu-Mund-Propaganda führte dazu, dass die derzeit 14-täglichen Termine gut besucht sind.

Rat und Tat

In den Räumlichkeiten des 2021 eröffneten Franziskushauses fand der Schreibdienst einen Standort, in dem sich alle wohlfühlen. Bei einem Besuch waren die Beraterin und die zwei Berater voll ausgelastet. Ein junger Mann liess sich bei der Wohnungssuche helfen, ein anderer benötigte Hilfe bei einer Bewerbung, und eine Frau im mittleren Alter brauchte ebenfalls Unterstützung bei ihrer Bewerbung. Der Schreibdienst bietet nicht nur fachliche Kompetenz in Sachen Amtsdeutsch und Formalien. Die Erfahrungen und das Einfühlungsvermögen der Freiwilligen machen jede Beratung zu einer Art individuellen ­Lebensberatung. «Arbeit zu finden ist unser Hauptthema», sagt der Schreibdienstleiter. «Auch ­Härtefallanträge bei abgelehnten Asylanträgen kommen immer häufiger vor.»

Lebenswege ernst nehmen

Norbert Graf schildert den typischen Fall eines 45-jährigen Mannes aus dem Iran: Er verfügte über eine gastronomische Grundausbildung und wollte mit Hilfe des Schreibdienstes eine Bewerbung verfassen. Im Gespräch kam heraus, dass der Mann im Iran 14 Jahre lang leitender Schuhmacher gewesen war. Graf verhalf ihm zu einem Praktikum bei «Ortho-Team», einem Anbieter für Orthopädie-Produkte samt Gesundheitsschuhen. Daraus wurde eine feste Anstellung! Nebenbei fand Graf heraus, dass dem Mann die Quellensteuer doppelt abgezogen worden war. Ein klärendes Telefonat mit der Steuerbehörde machte den Fehler rückgängig. So führen die Kompetenz der ehrenamtlichen Mitarbeiter, ihr mitfühlendes Interesse an den Ratsuchenden und passende Informationen weit übers Verstehen und Verfassen von Schreiben hinaus.

Text und Bild: Christina Burghagen

www.jegi-hilft.ch 

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