Michel Esseiva, Vizepräsident des Kirchgemeinderates.
Foto: Niklaus Baschung

SOZIALES ENGAGEMENT BEKANNTERMACHEN

MICHEL ESSEIVA, VIZEPRÄSIDENT DES KIRCHGEMEINDERATES, RECHNET MIT HARTEN SPARMASSNAHMEN, WENN DIE JURISTISCHE KIRCHENSTEUER WEGFALLEN SOLLLTE.

MICHEL ESSEIVA, VIZEPRÄSIDENT DES KIRCHGEMEINDERATES, RECHNET MIT HARTEN SPARMASSNAHMEN, WENN DIE JURISTISCHE KIRCHENSTEUER WEGFALLEN SOLLLTE.

Wie schätzen Sie die politischen Kräfte im Kanton Bern in Kirchenfragen ein?

Michel Esseiva: Mich betrübt, wie sich die Politik gegenüber Kirchen positioniert. Eine Kirchennähe ist nicht mehr gegeben. Kurz vor der Debatte zur Kirchensteuer für Unternehmen habe ich bei Begegnungen erfahren, wie wenig Politiker und Politikerinnen eigentlich über die Tätigkeiten der Kirchen wissen. Viele Mitglieder des Grossen Rates sind sich nicht bewusst, wie gross das soziale Engagement der Kirchen ist - durch eigene Tätigkeiten oder mit der Unterstützung anderer Institutionen.

In der Kirchgemeinde Biel und Umgebung ist der Anteil der Steuereinnahmen von juristischen Personen besonders hoch. Weshalb?

Wenn wir die Städte Bern und Biel vergleichen: Bern ist die Bundeshauptstadt mit finanzkräftigen Beamten und Beamtinnen. Ein grosser Teil der Kirchensteuern kommt dort von den Privatpersonen. Biel ist eine Arbeiterstadt – die Saläre sind tiefer als in Bern. Dafür profitieren wir hier von den Kirchensteuern zweier Grosskonzerne aus der Uhrenbranche und weiterer ansässigen Firmen. Daraus ergibt sich dieses unterschiedliche Verhältnis zwischen Steuereinnahmen von Privaten und von juristischen Personen.

Bis zu 2 Millionen Franken jährlich der Steuereinnahmen der röm.-kath. Kirchgemeinde Biel und Umgebung stammen von juristischen Personen. Was geschieht, wenn diese wegfallen?

Zwei Millionen Franken entsprechen etwa 15 bis 20 Arbeitsplätzen. Unsere Personalressourcen sind knapp berechnet und entsprechen dem Bedarf einer Kirchgemeinde mit rund 23'000 Katholiken. Die fehlenden Einnahmen werden zu knallharten Sparmassnahmen führen. Wenn wir aber sagen, das Personal ist uns zu kostbar, wo sollen wir sparen? Wir müssen über die Bücher bei sämtlichen Unterstützungen anderer Institutionen und sozialer Projekte. Und diese auf den Kanton oder die Stadt Biel verweisen.

Die Steuereinnahmen von juristischen Personen sind zweckgebunden für soziale und kulturelle Zwecke. Müsste die Kirche gar bei der Diakonie sparen?

Wir werden alles analysieren müssen, von Spitalbesuchen, Unterhalt historischer Gebäude, bis zur Benutzung unserer Infrastruktur durch andere Gruppen. Von den rund sieben Millionen Franken, die wir zurzeit verwenden, wird der kleinere Teil für kirchliche Belange im engeren Sinn wie Gottesdienste/Katechese ausgegeben.

Der Regierungsrat soll nun die Folgen prüfen, wenn die Kirchensteuern für die Unternehmen freiwillig werden. Ist diese Freiwilligkeit noch abzuwenden?

In der Kantonsverfassung steht zwar, dass die evangelische, die röm.-kath. und christ.-kath. Kirche, sowie israelitische Gemeinden öffentlichrechtlich anerkannt sind. Zur Finanzierung dieser Religionsgemeinschaften steht aber nichts drin. Kommt dazu, dass der persönliche Bezug zu den Landeskirchen bei den aktuellen Mitgliedern des Regierungsrates kaum mehr vorhanden ist. So dass damit zu rechnen ist, dass der Regierungsrat nach einer Lösung sucht, um eine Freiwilligkeit oder sogar Abschaffung einzuführen.

Das soziale Engagement der Kirchen wird von vielen Grossräten und Grossrätinnen nicht mit den Steuern für juristische Personen verbunden. Wie sind sie zu übezeugen?

Möglicherweise haben die Kirchen zu spät und zu wenig intensiv mit der Lobbyarbeit in eigener Sache begonnen. Die sechzig Prozent im Grossen Rat, die gegen die Kirchensteuer für juristische Personen votiert haben, sind sich nicht bewusst, dass sich dies als Bumerang erweisen kann. Wer übernimmt dann die Mitfinanzierung von Jugendhäusern, von Gassenküchen, von zahlreichen anderen sozialen Einrichtungen? Ist dies schlussendlich wieder der Staat, weil sich die Kirchen daraus zurückziehen müssen? Wie eingangs erwähnt, die Dienstleistungen der Kirchen müssen der Politik sowie unseren Mitgliedern viel stärker bekannt gemacht werden.

Interview: Niklaus Baschung

 

 


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