Für Markus Stalder, neuer Pastoralraumleiter und Gemeindeleiter der Pfarrei Bruder Klaus, sollen sich die Menschen aufgrund ihrer christlichen Überzeugung überall dort einbringen, wo ihre Fähigkeiten gemeinschafts- und lebensfördernd sind. "Jeder und jede ist gerufen sich einzubringen, damit dieses "Mehr an Leben" erfahrbar wird."
Herr Stalder, Sie leben mit ihrer Familie hier in Biel. War es schon immer ein Ziel, in dieser Stadt auch seelsorgerisch tätig zu sein?
Markus Stalder: Ich lebe seit 20 Jahren in Biel. Meine Frau Karin und ich durften 1998 in der Pfarrei Christ-König zusammen mit der ganzen Pfarrei und vielen Freunden und Verwandten unsere kirchliche Hochzeit feiern. Hier wurde 2004 auch Anna, eine unserer beiden Töchter, getauft. In den ersten Jahren meiner "Bieler-Zeit war ich kirchlich auch ehrenamtlich tätig, so als Lektor und Kommunionhelfer oder als Mitglied des Pfarreirates St. Maria. Einige Zeit habe ich die Ministranten-Gruppe geführt. Die Frage, einmal unbedingt in Biel pastoral tätig zu sein, stellte sich mir so nie. Als Diakon bin ich einer von vielen Mitarbeitenden von Bischof Felix Gmür, der in seiner Person und Funktion auch der oberste Personalchef ist. Ein Stellenwechsel wird immer in Rücksprache mit dem diözesanen Personalamt vollzogen. Dabei spielen die Wünsche und Fähigkeiten des Seelsorgers einerseits und die pastoralen Erfordernisse aus Sicht der diözesanen Gesamtplanung anderseits eine gleichberechtigte Rolle. In diesem Zusammenspiel hat sich für mich nun die Stelle in Biel ergeben.
Als Bieler ist Ihnen diese Stadt vertraut. Wo sehen Sie stadtspezifische und Anliegen, bei denen sich die Kirche einbringen soll?
Die Kirche ist nicht einfach ein starres Konstrukt, sondern letztlich die Gemeinschaft von Menschen, die ihre Hoffnungen und Sorgen, ihre Freuden und Ängsten im Vertrauen auf Gott miteinander teilen. Diese Gemeinschaft lässt sich dabei immer wieder leiten von der Suche nach dem "Mehr an Leben", welches uns von Gott her zugesprochen ist. Getragen von diesem "Mehr im eigenen Leben" setzten sich diese Menschen nach ihren Fähigkeiten dafür ein, das auch andere Anteil an diesem "Mehr an Leben" erfahren dürfen. Letztlich können wir nur weitergeben, wovon wir selbst erfüllt sind. Wenn Sie mich nun fragen, wo muss sich die Kirche in Biel einbringen, dann möchte ich nicht nur Schlagwörter nennen, wie: im Sozialbereich, in der Flüchtlingskrise oder der Integration. Natürlich bringen sich viele Menschen aus Überzeugung und getragen von ihrem Glauben und dem christlichen Menschenbild in diesem Bereichen ein. Dies ist wichtig, richtig und gut so. Das Leben hat aber noch unzählig viele andere Bezugspunkte. Und die Kirche bzw. die Menschen, die Teil dieser Kirche sind, sollen sich überall da einbringen, wo ihre Fähigkeiten gemeinschafts- und lebensfördernd sind. Jeder und jede ist gerufen sich einzubringen, damit dieses "Mehr an Leben" erfahrbar wird. Der griechische Begriff "Ekklesia", welcher im Deutschen mit Kirche übersetzt wird, heisst wortwörtlich: die Herausgerufenen. Gott ruft und beruft die Menschen, gemeinsam nach dem "Mehr des Lebens" Ausschau zu halten und eben dieses untereinander zu fördern.
Was liegt Ihnen in der Seelsorge persönlich am meisten auf dem Herzen?
Besonders am Herzen liegt mir der Mensch als Individuum mit seinen Fragen und Bedürfnissen und ebenso die Gemeinschaft, als Zusammenschluss der Einzelnen: Denn geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude doppelte Freude!
Sie waren als Projektleiter massgeblich an der Bildung des Pastoralraums für die fünf Solothurner Pfarreien Selzach, Oberdorf, Lommiswil, Langendorf und Bellach beteiligt. Wie reagieren die Pfarreimitglieder auf solche grossräumigen Strukturen?
Nun, in solchen Dingen reagieren die Menschen überall gleich. Das hat aus meiner Sicht auch etwas mit dem Menschsein an sich zu tun und zählt zu den Grundkonstanten menschlichen Lebens. Wir tun uns nicht leicht mit Veränderungen. Veränderung bringt immer auch Unsicherheit mit sich. Man muss bereit sein, etwas Bekanntes aufzugeben, um in diesen Aufgaben auch etwas Neues finden zu dürfen. Wachstum bedingt Veränderung, äusserlich wie innerlich. Ich habe die letzten acht Jahre pastoral im mittleren Leberberg und im Dekanat Solothurn zugebracht, durfte mich in den verschiedensten Funktionen einbringen, sei es als Gemeindeleiter vor Ort oder in meinem Amt als Diakon auch weit über die eigenen Pfarreigrenzen hinaus bei der Feier von Taufen und Hochzeiten. Sei es als Projektleiter zur Errichtung des Pastoralraumes oder als Co-Dekanatsleiter des Dekanats Solothurn, welchem ich zusammen mit meinen geschätzten Kollegen Pfarrer Dr. Agnell Rickenmann in den vergangenen sechs Jahren vorgestanden bin.
Wie haben die Pfarreiangehörigen auf ihren Wechsel nach Biel reagiert?
Als ich nach dem Kirchgemeinderat die Pfarreiangehörigen über meinen bevorstehenden Wechsel informierte, erkundigte man sich sofort und besorgt, ob ich denn mit irgendetwas nicht zufrieden sei, ob es Unstimmigkeiten oder dergleichen gebe. All jene Befürchtungen konnte ich und kann ich ausschlagen. Es gäbe keinen Grund, die Stelle zu wechseln, wenn ich denn nicht davon überzeugt wäre, dass Wandlung nebst vielen Unsicherheiten auch viele Chancen birgt und dass Wachstum immer auch mit Wandlung und Veränderung einhergeht. Und was für den einzelnen Menschen gilt, das gilt in analoger Weise auch für die Gemeinschaft der Kirche.
In Biel bilden die drei Pfarreien zusammen mit der Pfarrei St. Martin in Pieterlen einen Pastoralraum. Angesichts des Personalmangels in der Seelsorge verlagern sich Aktivitäten auf diesen Pastoralraum. Müssen die Kirchenmitglieder hier auch umdenken?
Mir ist die Feststellung wichtig, dass die Pfarreien als Pfarreien nicht aufgelöst worden sind, das heisst, es gibt keine "Mega-Pfarrei", denn Leben konkretisiert sich immer auch vor Ort. Im Sinne der Synergien ist aber auch gut zu prüfen, wo gemeinsame Veranstaltungen durchaus Sinn machen. Da ich die Details von Biel noch nicht kenne, erlaube ich mir, ein Beispiel aus meinem Herkunft-Pastoralraum heranzuziehen. Die Vorbereitung auf das Sakrament der Firmung wird Pfarrei übergreifend organisiert. Es bedarf hierzu seitens der Jugendlichen sehr wohl die Bereitschaft zur Mobilität, denn nicht mehr alles findet in der eigenen Pfarrei statt. Dies birgt aber auch mehrere Chancen: In einer kleinen Pfarrei gab es teilweise sechs Firmenden; durch die gemeinsame Vorbereitung und die grösserere Vorbereitungsgruppe lernen die Jugendlichen neue Leute und neue Meinungen kennen; sie erfahren ein anderes Gemeinschaftsgefühl. In einer grösseren Gruppe kann ich auch andere Arbeitsmethoden anwenden. Es gibt in einem Pastoralraum also Verlagerungen, diese sollen aber immer vom Grundsatz geleitet sein: Wie bringen wir als Menschen von heute unseren Glauben ins Spiel, so dass er uns selbst trägt und auch im Miteinander der Gesellschaft wahrgenommen wird.
Nun beginnen Sie Ihre Tätigkeit als Leiter des Pastoralraums Biel-Pieterlen. Was wünschen Sie für Unterstützungen, damit Sie sich hier in Biel mitgetragen fühlen?
Mein Ansatz ist ein anderer: Mir geht es nicht in erster Linie darum, was ich brauche. Als Seelsorger möchte ich eher fragen, was sind die Bedürfnisse und Anliegen der Menschen vor Ort und wie kann ich hier als Mann der Kirche theologisch verantwortet darauf reagieren. Und da wir mit Blick auf das christliche Menschenbild von Gott her nicht als Einzelkämpfer ins Leben entlassen worden sind, freue ich mich über jede Unterstützung, die ich hierbei erhalte. Kirche sind wir nur zusammen als die von Gott Herausgerufenen, um gemeinsam nach dem "Mehr an Leben" zu suchen und davon bin ich überzeugt, immer wieder auch zu finden.
Interview: Niklaus Baschung