Die «pfarrblatt»-Kolumnist*innen haben ihre Gedanken zum bevorstehenden Osterfest auf den Punkt gebracht. Ein bunter Reigen Leben zum Lesen und Hören.

Gabriela Scherer: «Aufstehen und Aufbrechen»

Aufstehen und Aufbrechen

«In jeder Generation soll der Mensch sich so sehen, wie wenn er selbst aus Ägypten ausgezogen wäre.» Was für eine starke Aufforderung aus der Pessach- Haggada, der jüdischen Liturgie zur Pessach-Feier!

Was haben mir die Schilderungen vom Buch «Exodus» und zur österlichen Auferstehung aus den Evangelien zu sagen?
Die Osterbotschaft ist voller Bezüge und Analogien zur Exodus-Erzählung, wie die zeitliche Verortung zu Pessach oder die Symbolik des Lammes. Ostern – in diesem Licht betrachtet – bekommt eine unendliche Tiefe, eine Erzählung aus der Vergangenheit wird plötzlich sehr gegenwärtig. Mitten in der historischen Erzählung des Volkes Israel wird jeder einzelne Mensch in der Gegenwart angesprochen.

Wie kann eine Erfahrung früherer Generationen eine eigene Erfahrung werden? Was wird alles möglich, wenn ich diese Botschaft tatsächlich auf mein eigenes Menschenleben hin deute? Die Geschichte vom Auszug aus Ägypten ist eine Einladung zum Aufbruch aus Begebenheiten, die uns beengen, die Osterbotschaft ist eine Einladung an uns zum Aufstehen ins Leben. Die Osterbotschaft will uns sagen: Es gibt schon eine Auferstehung vor dem Tod! Aufstehen, der Weg ist vorbereitet, einer ist vorangegangen, es ist nun an uns zu gehen und aus der Erstarrung, in die wir uns mögicherweise längst schon geschickt haben, wieder ins hoffnungsvolle Sein und Handeln zu kommen. Ebenso finden wir darin eine Aufforderung zu gerechtem Wirken gegenüber andern und zum Gestalten von lebensbejahenden Strukturen. So werden Exodus und Ostern zu einer «Co-Produktion» zwischen Gott und Mensch im Hier und Heute, eine partnerschaftliche Verwirklichung von Lebendigkeit.

Martin Tschirren: «Lumen Christi»

«Lumen Christi»

Etwas, das mich in jeder Osternachtfeier berührt, ist der Ruf «Lumen Christi» gleich zu Beginn des Gottesdiensts.

Liegt es an der Tonfolge? Drei gleiche Töne und dann eine kleine Terz nach unten – an sich nichts Aussergewöhnliches. Der Kuckuck ruft so oder Eltern, wenn ihre Kinder nach Hause kommen sollen.
In der Tat ist auch mit dem Ruf «Lumen Christi» eine Aufforderung verbunden. Man könnte sie wohl so übersetzen: «Seht her, hier ist Christus, das Licht der Welt». Damit klingt auch ein Bezug zu Joh 8,12 an, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt: «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.»

Die Wirkung dieser Aussage wird in der Osternachtsliturgie noch verstärkt, indem der Wechsel zwischen dem «Lumen Christi»-Ruf und der chorischen Antwort «Deo gratias» dreimal vonstatten geht und dabei jedes Mal einen Ton höher ertönt.

Hinzu kommt die eindrückliche Dramaturgie: In einen völlig dunklen Kirchenraum wird eine Kerze hineingetragen und dann ertönt dieser Ruf: «Lumen Christi»! Dieser Brauch mit seiner Mischung von Musik, Licht und Text reicht bis in die frühchristliche Zeit zurück. Damals fand ein Ritual zur Begrüssung und zum Dank für das Licht in ähnlicher Form jeden Abend statt.

Zugleich bringt es die Osterbotschaft auf den Punkt: Nach der ausweglos scheinenden Situation mit der Kreuzigung kommen Licht und Hoffnung zurück. Übertragen auf heute kann dies bedeuten, dass wir auch in einer noch so schwierigen Situation darauf vertrauen dürfen, dass es ein Licht und einen Ausweg aus dieser Situation gibt.

Gabriele Berz-Albert: «Trotzdem»

Trotzdem

Es gibt viele Osterworte, die ich schön finde: Licht zum Beispiel. Oder Hoffnung. Oder Leben. Sie blühen und knospen wie die Natur im Frühling. Sie leuchten und strahlen, duften nach Hoffnung und machen das Leben leicht und froh. Mein Lieblingsosterwort ist aber nicht lieblich, eher kantig und rau. Mein Lieblingsosterwort heisst «trotzdem».

Wenn die Begegnung mit Krankheit, Leid oder Tod mich spüren lässt, dass das Leben begrenzt, verletzlich und zerbrechlich ist – trotzdem daran festhalten. Dass alles irgendeinen verborgenen Sinn hat.

Wenn ich mich ertappe, dass ich zweifle, ob uns überhaupt noch genug Zeit bleibt, den Klimawandel zu stoppen und unseren Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen – trotzdem hartnäckig für den Schutz unserer Erde einstehen.

Wenn mich die schlechten Erfahrungen, die Menschen mit der Kirche gemacht haben, müde und nachdenklich machen – trotzdem unerschütterlich vertrauen, dass Gottes grenzenlose Liebe zum Leben auch unsere Kirche verwandeln kann.

Wenn ich mich hilflos fühle in einer globalisierten Welt, in der ich ja nur ein unwichtiges Teilchen bin – trotzdem nicht aufgeben, mich auf die Seite der Armen zu stellen, für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen und für die Wahrheit einzustehen.

Wenn mich die vielen Scherben in meinem eigenen Leben, die zerrissenen Fäden, die vielen Baustellen traurig machen – trotzdem an der Zuversicht festhalten, dass mein Leben einzigartig, ganz und schön ist.

Ja, trotzdem! Denn gerade wenn der Traum von einer Welt, wo Frieden und Gerechtigkeit wohnen, ausgeträumt ist, wenn der Gott des Lebens begraben und eingemauert ist – fertig, aus! – gerade dann ist Gottes Liebe zum Leben noch lange nicht am Ende. Greift ein. Wälzt die Steine von den Gräbern. Lässt sich nicht unterkriegen. Steht auf und stachelt mich an, dass auch ich aufstehe: Gegen die Tode dieser Welt und gegen das Dunkel. Für das Leben und für die Liebe. Immer und immer wieder.

Das ist für mich Ostern: Trotzdem!

Sebastian Schafer: «Jesus im Koma?»

Jesus im Koma?

Kürzlich erzählte mir ein Freund von einem Artikel, auf den er gestossen sei. Forscher hätten darin versucht, die Auferstehung Christi medizinisch zu erklären.

Demnach hätte das Ganze so passiert sein können: Infolge der Misshandlungen fällt Jesus in ein todesähnliches Koma. Dazu beigetragen hat der Essig, den ihm die Legionäre zu trinken geben – Säure kann die Atmung abflachen lassen und gleichzeitig die Hyperkapnie, den gefährlichen Kohlendioxid-Anstieg im Blut, regulieren. Die folgenden Wasser- und Blutansammlungen in der Lunge wären zwar tödlich – aber Jesus hat Glück. Ein Legionär nimmt eine frühzeitliche Pleurapunktion vor: «Einer der Soldaten stiess mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus» (Joh 19,34). Jesus wird für tot gehalten und begraben – wacht aber nach drei Tagen wieder auf.

Das Gespräch brachte mich ins Grübeln. Weniger, weil ich von der Geschichte überzeugt war – kurze Nachforschung förderte Artikel zutage, die zeigten, dass die Theorie doch sehr unwahrscheinlich sei. Vielmehr fing ich an, nachzudenken, was das denn bedeuten würde – wenn Jesus gar nie auferstanden wäre. Fragen Sie sich das mal: Was bedeutet Ihnen eigentlich die Auferstehung? Was bedeutet es, dass Jesus «den Tod besiegt hat», wie es Theologen so poetisch formulieren?

Angenommen, Jesus wäre nicht auferstanden. Die Gebote, die er uns gegeben hat, die Lehre, die er verbreitete – an dieser würde sich wohl nichts ändern. Denn wenn ihr nur Autorität durch die Göttlichkeit Jesu verliehen würde, wäre sie doch irgendwie nichts wert.

Anders sieht es mit der tieferen Bedeutung aus. Ohne die Auferstehung wäre auch sein Versprechen des Reichs Gottes unglaubwürdig. Und die Ostergeschichte nichts als die simple Story eines Revolutionärs, der hingerichtet wird. Die Auferstehung ist der ultimative Sieg über das Leid der Unschuldigen – die Gewalt der Institutionen, der Soldaten und der Mächtigen hat keine Kraft mehr. Diese Gewalt ist nichts wert, siegt niemals und wird immer gebrochen werden.

Andreas Knapp: «Der grosse Aufschluss»

Der grosse Aufschluss

Schlüsselklirren auf einem kalten leeren Flur. Dazu eine laute Stimme: «Aufschluss!» Ein erlösendes Wort, ersehnt von Menschen, die hinter den Metalltüren warten.

Endlich dürfen die Gefangenen für eine oder zwei Stunden aus ihren Zellen. Endlich können sie auf dem Flur auf- und abgehen.

Seit Jahren erlebe ich als Gefängnisseelsorger dieses Ritual. Eine tägliche Szene, die mich immer noch berührt. Beim Gottesdienst zu Ostern projiziere ich für die Gefangenen ein eigenartiges Bild auf die Leinwand: Türen sind aus den Angeln gerissen und liegen auf dem Boden. Dazwischen sieht man grosse und kleine Schlüssel, die überall zerstreut herum liegen.

Es ist das Osterbild der orthodoxen Kirche. Christen feiern an Ostern noch mehr als den wunderbaren Frühling, in dem das Leben neu beginnt. Sie feiern, dass das Leben nicht nur in einer bestimmten Jahreszeit, sondern für immer siegen wird.

Unsere Welt sieht oft anders aus: Es scheint, dass der Tod das letzte Wort hat. Menschen werden verurteilt und weggeschlossen. Sie werden das, was man ihnen anhängt, nicht mehr los. Sie bleiben eingesperrt in die Bilder, die sich andere von ihnen machen.

Die Bibel erzählt von Jesus, der sich für andere eingesetzt hat. Doch dann wird er ungerecht verurteilt und hingerichtet. Seine Freunde, die ihm Treue bis in den Tod versprochen hatten, laufen davon und verkriechen sich. Sie haben ihre Hoffnungen begraben. Doch Jesus ist aus dem Gefängnis des Grabes herausgestiegen. Die Türen sind gesprengt und die Schlüssel liegen verstreut am Boden.

Die Gefangenen konnten auf dem Osterbild ihre eigenen Hoffnungen wiedererkennen: Dass verschlossene Türen aufgehen. Dass eine durch Schuld verbaute Situation überwunden wird und sich eine Zukunft öffnet. Dass die Schlüssel, mit denen man andere in Vorurteile und Urteile einsperrt, weggeworfen werden. Die Tore stehen offen für eine neue Chance, ein neues Leben.

Ariane Piller: «Hysterie oder historisches Faktum?»

Hysterie oder historisches Faktum?

Die Frage nach der Auferstehung von Jesus kann weder historisch bewiesen noch einfach als Hysterie abgetan werden.

Für den streng wissenschaftlich denkenden Menschen endet das Leben Jesu mit dem Tod am Kreuz. Höchstens in der Erinnerung Nahestehender konnte Jesus weiterleben. Aber wie ist es möglich, dass die blosse Erinnerung an einen als Verbrecher öffentlich Hingerichteten eine religiöse Bewegung auszulösen vermochte, die über zwei Jahrtausende alle Höhen und Tiefen überdauerte?

Die ältesten Zeugnisse über die Auferstehung Jesu sind kurze, formelhafte Akklamationen, wie sie wohl in den ersten christlichen Ge-meinden in liturgischem Gebrauch waren. Sie sind älter als das textliche Umfeld: «Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben – gemäss der Schrift – und er ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden – gemäss der Schrift – und ist dem Kephas erschienen» (1 Kor 15, 3–5).

Die Ostergeschichten weisen in Bezug auf Personen und Handlungsablauf erhebliche Divergenzen auf. Es geht den Evangelisten aber nicht um einen historischen Bericht. Die Erzählungen ranken sich um einen hi- storischen Kern, das leere Grab. Es ist kein Beweis für die Auferstehung Jesu, sondern ein Zeichen, dass vielfältig gedeutet werden kann, wie dies schon in den Evangelien geschieht: «Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat» (Joh 20,2 und 20, 13). «Lass also das Grab bewachen, sonst möchten seine Jünger kommen, ihn stehlen und dem Volk sagen: Er ist von den Toten auferstanden» (Mt 27, 64).

Jesus erscheint den Jüngerinnen und Jüngern in vielfältiger Gestalt. Er ist mit uns unterwegs durch alle Zeiten bis heute als Freund, Reise-gefährte. Aber in einer geistigen Dimension: «Gesät wird ein Sinnenleib, auferweckt ein geistiger Leib. Wir alle werden verwandelt werden» (1 Kor 5,44 und 50).

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