Von Mönchen und Matten

Text: Marie-Louise Beyeler
Fotos: Pia Neuenschwander

 

Es trieft und tropft, rauscht und gurgelt. Das heutige Wanderziel sind die Wässermatten im Oberaargau, und es regnet in Strömen – also Wasser rundum. Den Oberaargau kennen viele nur vom Durchfahren; auf der Autobahn gibt’s in der Nähe der Ausfahrt Wangen a. A. ein touristisches Hinweisschild, aber man will ja weiter, entweder Richtung Zürich oder Richtung Bern. Und so bleibt das „Land unter Sternen“, wie die Dichterin Maria Waser ihre Oberaargauer Heimat genannt hat, eine verborgene Gegend, so ist die von Cuno Amiet in zahlreichen Werken dargestellte Landschaft eine stille Schönheit abseits der Touristenströme.

Mehr Kulturland!
Um die Oberaargauer Matten, die Gebiete rund um die Flüsschen Önz, Pfaffnern, Langete und Rot, besser nutzen zu können, bauten die Zisterziensermönche vom Kloster St. Urban im 13. Jahrhundert ein ausgeklügeltes Bewässerungsystem auf, das bis heute funktioniert – und zwar so: Das weit verzweigte System aus Kanälen und Dämmen erlaubt es, mit Schleusen, Wasserauslässen und Wehren grosse Flächen gleichzeitig zu bewässern und zu düngen. Die uralten Wässerzeiten und -rechte werden eingehalten, dreimal pro Jahr werden die etwa 110 Hektaren Wiesen überflutet.
Die Wässermatten im Oberaargau sind heute die letzten in der Schweiz Erhaltenen, sie sind eine Kulturlandschaft von nationaler Bedeutung und einen Besuch mehr als wert. Die Flüsschen und Bäche, Uferzonen und Hecken sind Lebensraum für viele selten gewordene Pflanzen- und Tierarten, wir Menschen können in diesen sattgrünen, flachen Landstrichen die Seele baumeln lassen und staunen. Die Wege durch die Wässermatten-Landschaften sind allesamt gut ausgebaut, man kann darauf wandern oder joggen, walken, velofahren oder bummeln, Kinder und Hunde problemlos mitnehmen.  

Gut gemacht, Fratres
Meine Wanderung durch die Wässermatten beginnt am Bahnhof Langenthal, Ziel ist das Dorf Madiswil. Vom Stadtzentrum aus geht’s dem Flüsschen Langete entlang Richtung Süden. Man kann die Stadt zu Fuss durchqueren, die hohen Trottoirs bewundern, die es früher bei Hochwasser ermöglichten, trockenen Fusses in die Geschäfte und Hauseingänge zu gelangen. Wer auf den Stadtbummel verzichten möchte, fährt mit dem Bus Nr. 64 Richtung Lotzwil und steigt bei der Station Schwimmbad aus; das kürzt die Wanderung um etwa eine halb Stunde ab. In der schön gelegenen Badi kann man einen Kaffee trinken oder ein paar Längen schwimmen, bevor es ans Wandern geht: Um die Badi herum, durch die letzten Häuser stadtauswärts und dann öffnet sich die Mattenlandschaft, kann das Auge schweifen, bei schönem Wetter zeigt sich im Süden hinter den Hügeln im Grenzland zwischen Oberaargau und Emmental die Alpenkette. Nun, mein Wandernachmittag ist regnerisch, und bald habe ich den Eindruck, rundum von Wasser umgeben zu sein: Unter den Schuhen Pfützen und nasses Gras, von oben Regen, zur Seite die gurgelnde und plätschernde Langete. Ich sehe in Gedanken die Mönche aus St. Urban vor mir, Gräben ausheben, schwitzen und keuchen, und wie konnten sie überhaupt wissen, dass das ganze System dann am Schluss auch funktioniert und nicht zum Desaster wird? Gute Arbeit, Fratres, denn bis heute können die Schleusen hoch gekurbelt werden, das Wasser flutet dann kontrolliert und nach einem ausgeklügelten Prinzip in die Matten. Der Abschnitt zwischen Langenthal und Lotzwil weist nebst der Langete kleine Bäche und im Moment trockene Gräben auf. Ein Wegabschnitt heisst „René-Bärtschi-Weg“, er ist nach jenem Berner SP-Regierungsrat benannt, der sich in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts für die Erhaltung der Oberaargauer Wässermatten stark gemacht hat. Danke, Herr Bärtschi, und ein paar Meter nach seinem Weg biege ich rechts ab, durch einen kleinen Feldweg, um zu einem sprudelnden und zischenden Zusammenfluss von Bächen und der Langete zu kommen und das Wasserspiel von einer Brücke aus zu bestaunen.

Informationen - Wandern in den Wässermatten

Wanderung Langenthal – Lotzwil – Madiswil ca. 2 Stunden
Weitere Wässermatten-Wanderungen: Langenthal – Roggwil ca 1 Stunde oder Langenthal – St. Urban – Murgenthal ca 2 ½  Stunden, jeweils mit dem Zug zurück nach Langenthal.

Berner Wanderbuch 3092 Emmental-Oberaargau, Verlag Berner Wanderwege Karte: Swisstopo 5019 www.waessermatten.ch
www.myoberaargau.ch
www.felberbeck.ch
www.baeren-madiswil.ch

Genusswandern
Das Dorf Lotzwil muss durchquert werden, in der Bäckerei Felber gibt’s eine willkommene „Trockenphase“ mit Kaffee und hausgemachten Schoggistängeli. Beim Bahnhof halte ich mich an den Wegweiser Richtung Madiswil, und noch einmal zieht sich der Wanderweg durch sommerliche Wiesen, dem nächsten Dorf entgegen. Dort ist ein längerer Halt fast Programm: Im Restaurant Bären in Madiswil sind die Wirte Jürg und Eliane Ingold und ihr Team eingestellt auf Velofahrer und Wanderer. Bei schönem Wetter lädt der „Velogarten“ (auch) die Wanderer ein zu einer Ruhepause am plätschernden Brunnen inmitten von Elianes blühender Blumenpracht.
Wenn Petrus aber partout nicht will, nimmt die Gaststube die Einkehrenden mit ihrem gemütlich-ländlichen Charme auf, und sowohl draussen als in der Stube liefern Küche und Keller Feinstes. Gleich gegenüber des „Bären“ ist die Bahnstation, stets zur halben Stunde fährt ein Züglein zurück. Am Bahnhof Langenthal mit seiner doch eher tristen Umgebung angekommen, reibe ich mir fast etwas verwundert die Augen: Habe ich das wunderbare Grün, die herrlich weite Landschaft der Wässermatten tatsächlich soeben erlebt – oder geträumt?

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