Der Grundauftrag ist: Menschen trösten, aufrichten, helfen, die Frohe Botschaft
verkünden, Menschen im prophetischen
Sinn mahnen, ermutigen, die Sinnfragen
stellen. Foto: Pia Neuenschwander

Bei Euch soll es anders sein

Bernhard Waldmüller verlässt Bern und erzählt, wie sich seine Spiritualität in 24 Jahren verändert hat.

Sein Glaube, seine Spiritualität habe sich in den vielen Jahren Berufserfahrung verändert. Wie?

Der Bayer lacht. Und erzählt: «Ganz am Anfang meines Wegs der Theologie waren es eine Mischung von Abenteuerlust und die Faszination des Missionierens, die mich trieben. Ich war Mitglied des Ordens der Comboni-Missionare, besuchte deren Internat, verbrachte drei Monate in Afrika und stieg dann nach dem Postulat aus. Die Abenteuerlust brachte mich in die Schweiz, ins Luzernische. Dort lernte ich meine Frau kennen. Später kamen wir nach Bern.

In Bern bekam ich bald Führungsaufgaben. Ich setzte mich intensiv mit der Frage auseinander, was Führung in der Kirche heisst. In der Kirche führen ist nur professionell, wenn Sie spirituell ist. Und spirituell ist es nur, wenn Sie auch professionell ist.
Ich habe es häufig erlebt, dass das eine gegen das andere ausgespielt wird, und das ist Blödsinn. Der Grundauftrag des Evangeliums muss immer mitspielen in der Führungskultur.

Der Grundauftrag ist: Menschen trösten, aufrichten, helfen, die Frohe Botschaft verkünden, Menschen im prophetischen Sinn mahnen, ermutigen, die Sinnfragen stellen. Führung heisst immer wieder, ein Team, eine Pfarrei ausrichten auf diesen Auftrag. Professionelle Führung wird immer wieder diesen Auftrag anmahnen und in die Mitte des Handelns stellen und dann dazu die hilfreichen Organisationsstrukturen finden, Transparenz herstellen, gute Kommunikation ermöglichen.

Konflikte gehören dazu. Ich habe sie erlebt und manchmal auch Fehler gemacht, die Konflikte auslösten. Und es ist so, Konfliktbewältigung ist eine der schwächsten Seiten der kirchlichen Führung. Da tun wir uns alle sehr schwer. Uns prägt der Satz aus dem Evangelium: ‹Bei euch soll es anders sein›. Dieser hohe Anspruch macht uns oft konfliktscheu.

In Konflikten, aber auch sonst, hat mir das ignatianische Gebet der liebenden Aufmerksamkeit geholfen, eine Mischung aus Beten und Reflektieren, ein Nach-Hinten-Treten, die Realität mit und vor Gott anschauen, die eigenen Anteile der Krise sehen, zu sehen beispielsweise, dass ich zornig bin, weil einer meinen wunden Punkt getroffen hat.

Theresa von Avila sagt sinngemäss: Wenn du nicht weisst, was du willst, weisst du auch nicht, was Gott will. Die Suche nach Gottes Willen ist immer auch Auseinandersetzung damit, was ich selber will. Sicher, ich bete viel darum, zeige mir den Weg, dein Wille geschehe, nicht meiner.

Ich möchte offen sein. Aber das muss sich verbinden mit der eigenen klaren Linie, mit der Klarheit darüber, was man selber will. Wenn ich nur darauf warte, was Gott will, werde ich diesen Willen nie finden. Ich versuche immer Gruppen so zu moderieren, dass die Teilnehmenden zwar spüren, was meine Haltung ist, aber sodass auch die reale Möglichkeit spürbar bleibt, dass etwas Neues, ganz anderes entstehen kann.

Ich versuchte hier in Bern ein Miteinander aufzubauen, nicht ein Gegeneinander, auf Vertrauen zu bauen. Von oben nach unten und von unten nach oben. Vertrauen aufbauen heisst nicht, in allem nach Oben nachzugeben.

Man muss im Gespräch bleiben, die Gespräche transparent kommunizieren. Ich versuchte dort einzugreifen, wo Veränderungen gegenseitig weiterhalfen. Es lässt sich was bewegen. Die Vision des Evangeliums brauchen wir, aber auch einen professionellen und realistischen Blick auf die Wirklichkeit.

Eine Organisationsstruktur wie unsere Kirche, die über 2000 Jahre gewachsen ist, ändert sich nicht so leicht. Die Missbrauchsskandale haben es doch gezeigt. Die Deckung und Verschleierung dieser Missbräuche war nur möglich durch einen in den Hirnen und Seelen bis ins Rückenmark eingebrannten Korpsgeist, nach dem Motto, keiner kratzt dem anderen am Bein.

In allen betroffenen Ländern war die erste Reaktion immer Abweisen, Kleinreden, Zweifel an den Opfern schüren. Erst allmählich wurde klar, dass man damit nicht mehr durchkam. Nun sind Machtstrukturen und die Notwendigkeit von völliger Transparenz im Blick. Immerhin.

Meine Spiritualität ist mit den Jahren ruhiger und besonnener geworden. Ich habe mich in vielem mit der Kirche als Institution gerieben, aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir mit unserer Botschaft wirklich der Welt was zu sagen haben. Aber Kirche, davon bin ich auch überzeugt, muss sich in den nächsten 20–30 Jahren komplett neu erfinden.

Ich gehe nicht mit der Frage nach Kriens, was braucht die Kirche, sondern was will Gott mit Kriens, was will er mit allen Menschen, die dort leben, nicht nur mit den Katholiken. Und die Veränderung in meinem Führungsstil nehme ich mit. Am Anfang war viel Idealismus im Hinblick auf Management, Umstrukturierung, Papieren. Nun kamen mit der Praxis die dezentrale Steuerung, Selbstverantwortung, flexiblere Modelle wieder ins Blickfeld. Sie sind mir wichtiger geworden.

Die Entwicklung der Pastoralräume war in vielem ein Top-Down- Prozess. Das funktioniert nur bedingt. Unsere Stärke ist die dezentrale Organisation. Auf vielen Ebenen kann so etwas Neues entstehen. Hier eine Balance zu finden zwischen Selbstverantwortung und Synergien, das wird mich in Kriens begleiten. Ich freue mich darauf.»

Aufgezeichnet von Jürg Meienberg

 

 

Berufliche Stationen

«1994 bin ich nach Bern gekommen. Bis 2000 arbeitete ich als Pastoralassistent in Ittigen, in der Pfarrei Guthirt Ostermundigen. 2000 – 2005 war ich Hausmann und Student, habe meine Dissertation geschrieben, die Ausbildung zum geistlichen Begleiter gemacht und zu Hause zu unseren beiden Söhnen geschaut. Das waren ganz tolle Jahre!
2005 bis 2010 war ich Gemeindeleiter in St. Antonius und übernahm dann 2010 die Leitung des Dekanates, des heutigen Pastoralraumes.

Als ich mein Theologiestudium beendet hatte, herrschte in Bayern ein totaler Überhang von Theologen. Ich war Ordensmitglied der Comboni-Missionare und wollte Priester werden. Mein Onkel war Ordensmitglied und unsere Familie wardeshalb mit dem Orden sehr verbunden. Auch hatte ich das Internat des Ordens besucht und war nach der Matura für drei Monate in Nairobi in einer Landpfarrei im Einsatz, was mich damals sehr berührt und geprägt hat.

Das festigte meinen Entschluss, Theologie zu studieren und dies im Orden zu tun. Es war eine Mischung von Abenteuerlust und die Faszination des Missionierens die mich damals trieben. In den ersten zwei Jahre, im Postulat wurde mir dann aber klar, dass das nicht meine Lebensweise war. Die Leidenschaft für Theologie blieb.

Ich hatte das Gefühl, nun keine Gelegenheit mehr zu haben, Theologie zu betreiben. Die Arbeitsplatzsituation für nicht geweihte Theologen war damals extrem schlecht. Ich habe mich in meiner Heimatdiözese Eichstätt beworben und habe daneben das Studium für das Lehramt auf Gymnasialstufe angefangen.

Neben Eichstätt war bekannt, dass man als Theologe auch in der Diözese Basel eine Chance hatte, eine Aufgabe zu bekommen. Ich bewarb mich also bei beiden Diözesen, hörte sechs Wochen gar nichts, keine Bestätigung, nichts. Dann aber haben beide Diözesen innerhalb von drei Tagen angerufen, ich soll vorbeikommen.

Eichstätt bot mir eine konkrete Stelle an, Basel lud mich zum Gespräch ein. Meine Abenteuerlust hat mich dann nach Solothurn getrieben und ich bekam eine Stelle in Luzern, absolvierte den Berufseinführungskurs, damals hiess das Pastoralkurs. Danach wollte ich in ein grösseres Team und in die Stadt, so kam ich nach drei Jahren nach Ittigen.

Von Pfarrer Moritz Bühlmann habe ich enorm profitiert, hatte viel Freiraum. Es war eine lehrreiche Zeit. Nach fünf Jahren war aber Zeit für einen Wechsel und ich entschloss mich, Hausmann zu werden und meine Dissertation in Angriff zu nehmen. Das Liebäugeln mit einer Uni-Karriere war allerdings hinfällig - ich war zu alt und der Unibetrieb mir zu narzisstisch. Ich bin zwar auch etwas narzisstisch (lacht), aber die Arbeit in der Seelsorge war mir wichtiger.

Mir wurde aber klar, dass ich gerne Leitungsaufgaben übernehmen wollte, aber in Teilzeit. Da bot sich Bümpliz an. Ich wurde mit 60% Gemeindeleiter. Es war ziemlich herausfordernd, in den eingespielten Strukturen der Pfarrei, die eigene Rolle zu finden. Da wurde für mich das Thema Führung und Spiritualität ganz wichtig. Das blieb so, als ich die Leitung des Pastoralraumes übernahm. In unserer Kirche als Ganzes gibt es ein riesiges Führungsdefizit, fast auf allen Ebenen.»

Aufgezeichnet von Jürg Meienberg

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