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«Bene dicere»

Verena Sollberger über den Segen, Gutes übereinander zu sagen

Mucksmäuschenstill war es an diesem Abend im Herbstlager. Eine gute Stunde lang. Wir sassen im Kreis. Alle hatten zuvor ein kleines Heft und einen Stift bekommen. Auf den Umschlag schrieben wir unsern Namen. Dann gaben wir das Büchlein unserem Nachbarn zur Rechten weiter. Dieser notierte etwas Gutes, Positives über den, dessen Name auf der Vorderseite stand. Und anschliessend wanderte das kleine Heft weiter. Reihum im Kreis. Bis alle in jedem Heft etwas notiert hatten und es schliesslich wieder bei seiner Besitzerin ankam. Alle schrieben hoch konzentriert. Wendeten sich in Gedanken jedem Einzelnen aus der Lagergemeinschaft zu. Überlegten, was sie ihm/ihr Gutes sagen wollten.

Als dann alle ihr eigenes Heft wieder vor sich hatten, legte sich eine ganz besondere Atmosphäre über den Raum. Alle blätterten und lasen, was die anderen ihnen geschrieben hatten. Waren berührt. Strahlten ob so viel Gutem, das ihnen da zugesagt wurde. Nach Mitternacht entdeckte ich in einem der Schlafräume noch Licht. Ich ging hinein. Die Jungs waren alle noch wach – und lasen sich mit strahlenden Gesichtern gegenseitig aus ihren Heften vor! Das lateinische «benedicere» heisst segnen. Oder wörtlich übersetzt Gutes sagen. An diesem Abend wurden wir alle reich gesegnet.

Verena Sollberger, Pfarrerin, Luzern

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