Das Boot ist leer

«Migrar debe ser un derecho»

Aus- und Einwandern muss ein Recht sein

 

Von der andalusischen Atlantikküste aus sind die westlichen Berge und Hügel Marokkos zu sehen. Die Küste dort wird dann weiter südlich nach Mauretanien führen. Am breiten, langen, eher verlassenen Strand liegt ein grosses altes Fischerboot ohne Takelage, kein Wrack, aber jegliches Zubehör ist entfernt. Es ist bemalt, wie es solche Fischerboote oft sind.

Von Sandro Fischli


Wir gehen näher und werfen einen Blick über die hohe Reling, das Boot ist leer, einige Lumpen und sonstiger Abfall liegen darin. Oben an die Wanten sind Worte gesprayt, die wir jedoch noch nicht genau entziffern können. Wir gehen weiter, im Widerspruch zwischen Feriengenuss und möglicher naheliegender Bedeutung dieses Strandgutes.

Tags darauf gehen wir wieder den gleichen wilden schönen Strand entlang. Dicke Reifenspuren eines Traktors oder einer Baumaschine, eines Baggers, ziehen sich durch den Sand, die wir uns nicht erklären können, bis wir zu der Stelle gelangen, wo das Boot gelegen hat. Hier endet die Reifenspur, wendet sich zurück, und die tiefe Mulde einer Baggerschaufel ist zu sehen. Das Boot liegt an der Grenze zwischen Strand und Meer, an der Stelle der tiefsten Ebbe. Die Flut hat wieder begonnen und das Wasser umspült den breiten bauchigen Kiel, das Boot schaukelt leicht.

Die gesprayten Worte sind nun klar zu lesen: «Migrar debe ser un derecho» – Aus- und Einwandern muss ein Recht sein. Haben das Insassen des Bootes geschrieben? Oder Aktivisten? Warum fuhr da frühmorgens ein Bagger auf, um in einer uns durch und durch sinnlos erscheinenden Aktion ein Boot einfach von einer Stelle an eine andere zu versetzen? Geschah das in der Absicht oder der Hoffnung, die Meeresströmung möge dieses Holz des Anstosses wieder mit sich forttragen, weg vom Strand, um keine falschen bzw. richtigen Assoziationen aufkommen zu lassen, die unangenehm irritieren und Feriengenuss nur stören?
Um gar nicht erst Fragen aufkommen zu lassen, ob die Leere des Bootes darauf hinweist, dass seine Insassen die Überfahrt geschafft haben oder eben nicht? Um den auffälligen politischen Slogan aus dem Blickfeld zu räumen? Aus den Augen, aus dem Sinn.
Nicht nur Menschen werden ausgeschafft, auch ihre Boote. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

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