Das Märchen von den 7 Raben

Wenn es um Märchen geht, ist die Zahl 7 omnipräsent

Einen festen Platz hat die magische Sieben in den Märchen. Wir alle kennen sie: «Schneewittchen und die sieben Zwerge», «Der Wolf und die sieben Geisslein», «Das tapfere Schneiderlein», «Die sieben Raben». Allein bei den Brüdern Grimm beläuft sich die Zahl der Sieben-Märchen auf 33.

Ich solle doch unbedingt einmal erwähnen, dass ich in einer Familie mit sieben Kindern aufgewachsen sei, gab mir mein jüngster Bruder auf den Weg, als er von meinen Plänen zu dieser Siebner-Serie hörte. Diesen Wunsch kann ich im heutigen Beitrag erfüllen, ohne einen grossen Umweg zu machen: Das Märchen «Die sieben Raben» nimmt Bezug auf unsere damalige Lebenssituation in einer Grossfamilie. Als Kinder konnten wir die Dramatik sehr wohl nachvollziehen, welche die von den Brüdern Grimm geschilderte Störung im Beziehungsdreieck Eltern-Kinder-Geschwister für alle Beteiligten bedeutete.

In der Erstausgabe von 1812 trug das Märchen noch den Titel «Die drei Raben». Darin verflucht die Mutter ihre drei Söhne, weil sie lieber dem Kartenspiel frönten, statt den Gottesdienst zu besuchen. Aus der Zeit heraus ist die Reaktion der Mutter verständlich, da in puritanischen und kirchlichen Kreisen das Kartenspiel seit dem Mittelalter als «Gebetbuch des Teufels» galt. Ab der zweiten Auflage (1819) hiess das Märchen dann «Die sieben Raben». Verändert war nicht nur die Zahl der verwunschenen Söhne, sondern auch der Einstieg: Jetzt ging es nicht mehr um ein verbotenes Kartenspiel, sondern um eine Nottaufe. Das war um einiges dramatischer, zumal aus der Sicht des Vaters, der als höchste Autorität in der Familie dafür verantwortlich ist, dass seine Kinder getauft werden. Deshalb ist es in der zweiten Fassung des Märchens auch der Vater, der die Kinder verflucht: «Gewiss haben sie’s wieder über einem Spiel vergessen, die gottlosen Jungen. Es ward ihm angst, das Mädchen müsste ungetauft sterben, und im Ärger rief er: ‹Ich wollte, dass die Jungen alle zu Raben werden.›»

Die Brüder Grimm selber liefern keine direkte Begründung für diese einschneidende Veränderung. Nach Auffassung des Siebner-Experten Reinhard Schlüter könnte sie durchaus religiös motiviert sein. In seinem Buch «Sieben – eine magische Zahl» spricht er von einem Wandel, «der ganz offensichtlich auch durch die ‹sieben Sakramente› der katholischen Kirche motiviert wurde, von denen die Taufe bekanntlich das erste und grundlegendste ist». Schlüter beobachtet, dass sich Grimms Märchen ab der zweiten Auflage christlich zu wandeln beginnen. «Blutrünstig-archaische Ansätze machten mehr und mehr (wenn auch nicht immer) einer Art christlicher Moral Platz, die Zahl der Sieben-Märchen wuchs von ursprünglich 13 auf 33.»

Dieser Paradigmenwechsel mag zwar auffällig sein. Aber mit der neuen Fokussierung auf die magische Zahl Sieben nehmen die Brüder Grimm in der Welt der Märchen keineswegs eine Sonderstellung ein. Denn diese Welt als Teil des kollektiven Unterbewusstseins ist voller Siebnerbezüge. Das heisst: Wer die Prinzessin oder die Krone will, muss in der Regel sieben Prüfungen bestehen. Und wer eine Chance vermasselt hat, kann sich auf die Märchenregel verlassen, wonach Warte- oder Busszeiten meistens exakt nach sieben Jahren zu Ende gehen.

Synes Ernst

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