Es geht um Leben und Tod. Herzentnahme in einem Operationssaal in Frankreich für ein Kind, das später am Kinderspital Zürich operiert wird.
Foto: Gaetan Bally, Keystone

Die Widerspruchslösung erweitern

Intensivmediziner Mathias Nebiker zur Organspendedebatte

Seit 2007 gilt für Organspenden in der Schweiz die erweiterte Zustimmungslösung. Hat man sich zu Lebzeiten nicht schriftlich oder mündlich zur Organspende geäussert, müssen die Angehörigen stellvertretend im mutmasslichen Sinne der verstorbenen Person entscheiden. Die Widerspruchslösung aus der Sicht eines Intensivmediziners.

Autor: Dr. med. Mathias Nebiker


Die «Jeune Chambre Internationale Riviera» hat im Frühling 2019 eine Initiative eingereicht, welche die Einführung der Widerspruchslösung bei Organspenden verlangt. Im September 2019 reagierte der Bundesrat auf diese Initiative mit einem Gegenvorschlag auf Gesetzesebene, welcher die Angehörigen stärker einbezieht – die erweiterte Widerspruchslösung.

Obschon sich in Bevölkerungsumfragen mit rund 80 Prozent Ja zur Organspende eine grundsätzlich positive Haltung herauskristallisiert, ist die Zustimmung dazu in der Praxis deutlich tiefer. In den letzten Jahren haben sich auf Intensivstationen ca. 40 Prozent der Angehörigen für eine Organspende entschieden. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle sagen die Betroffenen im Gespräch: «Wir haben nie darüber gesprochen.»
Die fehlende Kenntnis der Angehörigen um den mutmasslichen Willen der verstorbenen Person dürfte ein wichtiger Faktor dafür sein, dass die effektive Zustimmung für eine Spende deutlich tiefer liegt. Man kann davon ausgehen, dass ein Nein der Angehörigen in dieser Situation das Gefühl hinterlässt, richtiger gehandelt zu haben.

Die bisherigen Kampagnen des Bundesamts für Gesundheit zur Organspende sind für die Sensibilisierung zur Thematik wichtig, konnten die Bevölkerung jedoch bislang zu wenig motivieren, ihren persönlichen Entscheid für oder gegen eine Organspende festzuhalten und mit den nächsten Angehörigen darüber zu sprechen. Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es das elektronische Organspenderegister von Swisstransplant (www.organspenderegister.ch). Dieses weist ca. 70 000 Einträge auf, das entspricht ca. einem Prozent der Schweizer Bevölkerung. Obwohl dies zurzeit die sicherste und verlässlichste Methode ist, den eigenen Willen punkto Organspende festzuhalten (ja oder nein), wird das Register (zu) wenig genutzt.

Idealerweise entscheidet man sich zu Lebzeiten für oder gegen eine Organspende und hält zVgdiesen Entschluss fest. Wird dies nicht getan, müssen die Angehörigen den Entscheid in einer schwierigen Situation stellvertretend übernehmen. Transparenz zu diesem sensiblen Thema ist wichtig und vorhanden. Fachleute haben zahlreiche Informationen zur Organspende zusammengestellt und öffentlich zugänglich gemacht. Im Dezember 2019 hat SRF in der vierteiligen DOK-Serie «Organspende – Ich will leben» zum Beispiel den Ablauf einer Organspende nach dem Hirntod aufgezeigt.

Die Widerspruchslösung mag einen gewissen Druck ausüben, sich eingehender mit der Thematik zu befassen. Dies darf durchaus auch als Argument gegen eine Organspende bzw. die Widerspruchslösung betrachtet werden. Schlussendlich ist es ein persönliches Abwägen von Pro und Contra. Die meisten Berufsverbände des Gesundheitswesens – etwa die FMH, der VSAO oder die Gesellschaft der Intensivmedizin – unterstützen die erweiterte Widerspruchslösung, den Gegenvorschlag des Bundesrates. Als Intensivmediziner ist mir wichtig, dass man bei einer Widerspruchslösung nicht von einer automatischen Organspende spricht. Egal, wie entschieden wird, Angehörige werden heute und in Zukunft immer mit einbezogen – anders ist es in der Praxis gar nicht vorstellbar.

 

 

 

 

Dr. med. Mathias Nebiker ist Intensivmediziner am Inselspital Bern, Leiter von Organspende Netzwerk Schweiz-Mitte und Präsident des Comité National du Don d’Organes (CNDO). Foto: zVg

 

 

 

 

 

 

 


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