Mose (Tobias Harnickell) steigt auf den Berg.
Foto: Jonathan Liechti

«Exodus»

Mundarttheater im Berner Nordquartier

Mose inspirierte das Berner Theaterensemble Johannes auf interreligiöse Art zu seinem diesjährigen Projekt.

von Andrea Huwyler

Grosser Saal im Kirchgemeindehaus Johannes: An einem Samstagmorgen im September stehen die Schauspieler*innen im Kreis, lockern sich mit Bewegungs- und Sprechübungen. Es duftet aus der Küche, jemand bestückt stoisch Briefumschläge mit Flyern. Die Tür öffnet und schliesst sich mehrmals, Requisiten werden gebracht. Alle sind hoch motiviert, es scheint vor Anspannung im Raum zu knistern.

Dann zieht sich Mose zum Studium seines Textes nach nebenan zurück. Für die anderen beginnt die Szene mit dem goldenen Kalb. Erst geht der Austausch von der Bundeslade gegen die lebensgrosse Figur nicht schnell genug, dann tanzen die Israeliten in ihrer Ekstase nicht gleich perfekt verteilt um die Statue herum oder drehen dem Publikum den Rücken zu. Der T-Shirt-Wechsel erfolgt noch nicht ganz synchron. Jedes Detail muss sitzen, Kritik gehört dazu. Aber ein Scherz muntert die Akteur*innen immer wieder auf.

Matratzen werden gereicht – der spannende Moment, in dem das goldene Kalb vom Sockel gestürzt wird, übertrifft alle Erwartungen! Es rumst trotz aller Vorkehrungen entsetzlich, der Schreck sitzt allen in den Gliedern. Aber das Kalb ist noch ganz, nicht einmal das Gold ist abgeblättert! Und die Szene ist nach einer reichlichen Stunde etwa so, wie der Regisseur und die Choreografin sie sich vorgestellt haben. So überzeugend laut und chaotisch muss es damals in der Wüste wohl zugegangen sein!

Dennoch ist es beruhigend zu wissen, dass während der Herbstferien im Theaterlager noch Zeit bleibt, alles Gelernte zu festigen. Wie feierlich mag dann wohl der Moment sein, an dem zum ersten Mal die Szenen von Mose am Berg Nebo mit den Erinnerungs-Szenen zum ganzen Stück vereint werden. Das Laienensemble, bestehend aus Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, agiert überzeugend vor und hinter der Bühne unter der Leitung von Pfarrer Jürg Liechti-Möri und Musikwissenschafter Hannes Liechti.

Allein im Mikrokosmos der Proben sind es in diesem Jahr elf Schauspieler*innen, fünf Statist*innen, drei Musiker*innen. 18 Personen sorgen backstage für einen reibungslosen Ablauf. Sie kennen einander gut. Schliesslich besteht das Ensemble in dieser Form schon seit 2009, greift alle zwei Jahre mit seinen Projekten zumeist ethisch-religiöse Themen auf. Nicht zuletzt durch sein politisches Engagement konnte es wiederholt ein grosses Publikum weit über kirchliche Kreise hinaus begeistern.

Grossen Anteil daran hat auch das Rahmenprogramm, welches das jeweilige Theaterprojekt im aktuellen Kontext inhaltlich begleitet. So beginnt «Exodus» wie auch die meisten der bisherigen Projekte mit einem szenisch gestalteten Auftaktgottesdienst. Für den Unterricht in Schule und Kirche stehen Vorbereitungslektionen online zur Verfügung, Einführungsworkshops zum Theater werden angeboten. Eine Theaterzeitung nähert sich auf 24 Seiten in Abhandlungen und Gesprächen der Figur des Moses und ihrer Bedeutung aus verschiedensten Perspektiven.

Die Autor*innen gehen auch der Frage nach, welche Schwerpunkte Judentum und Islam bei der Exodus-Geschichte setzen, schlagen schliesslich eine Brücke zum Einfluss des Exodus auf afroamerikanische Sklav*innen und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. (Bibel-)Zitate und Gedanken der Ensemblemitglieder führen ganz automatisch zur Auseinandersetzung mit eigenen Grundsätzen und Haltungen. Engagement beim Vertreten christlicher Grundwerte und für die Menschen (nicht nur) im Berner Nordquartier ist ein wesentlicher Punkt im Zusammenspannen der reformierten Kirchgemeinden Johannes und Markus mit der katholischen Pfarrei St. Marien.

Dass dieser Prozess von pastoraler Seite gutgeheissen und von Seiten der Landeskirche gleichfalls geschätzt wird, zeigt sich auch darin, dass ein Projekt des Theaterensembles Johannes zum ersten Mal ökumenisch getragen wird. Eines jedenfalls steht schon vor der Theater-Premiere fest: «Exodus» ist nicht einfach ein Kulturerlebnis, auch wenn die Aufführung ein solches definitiv garantieren kann. Es festigt ein Miteinander – unter Generationen, im Quartier und unter Glaubensgeschwistern.


FLYER

 


Aufführungen:
27. Oktober, 17.00 / 1. November, 19.00 / 3. November, 17.00 /  8. November, 19.00 / 9. November, 17.00 / 10. November, 15.00
Schulvorstellung: 3. November, 14.00 im Kirchgemeindehaus Johannes, Grosser Saal, Wylerstrasse 5, 3014 Bern.
Kontakt/Platzreservation: info@theaterensemble.ch, 031 309 00 11
Infos: www.theaterensemble.ch

 

 

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