Rebbetzin Dorit Grant Kohn, die Frau des Berner Rabbiners, im Interview. Foto: Lena Wymann.

Feministische Ansätze des Berner Rabbinats

Die Rolle der Frau in den jüdischen Gottesdiensten in Bern

Vor drei Jahren kam Michael Kohn als Assistenzrabbiner mit seiner Frau Dorit Grant Kohn nach Bern. Seit Mai dieses Jahres ist er offizieller Rabbiner der jüdischen Gemeinden in Bern und Biel. Das vitale Paar hat in religiöser Hinsicht neue Akzente gesetzt, so auch in Bezug auf die Rolle der Frauen in den Gottesdiensten.

Von Hannah Einhaus

Ein neuer Wind weht in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bern. Seit ihrer Ankunft vor drei Jahren arbeiten Rabbiner Michael Kohn und Rebbetzin Dorit Grant Kohn an einer Aufwertung des Stellenwerts von Frauen im Gottesdienst. Ebenso wie die katholische Kirche den Frauen das Amt des Priesters verwehrt, ist auch im orthodoxen Judentum das Rabbinat von Frauen kein Thema. Dies, obschon in den frühen 1930er Jahren die Religionslehrerin Regina Jonas in Berlin belegen konnte, dass weder in der Thora noch im Talmud ein Verbot für Frauen steht. Sie erhielt als erste Frau der Geschichte den Titel einer Rabbinerin, jedoch nie eine feste Anstellung in dieser Position. Bis heute sind Rabbinerinnen ausschliesslich im liberalen Judentum zugelassen.

Die Jüdische Gemeinde Bern versteht sich als Einheitsgemeinde, die allen religiösen Strömungen von orthodox bis liberal ein Dach bietet. Dazu kommen zahlreiche kulturelle und soziale Angebote weit über das religiöse Leben hinaus. Der Ritus an den Gottesdiensten orientiert sich jedoch an der Orthodoxie. So ist die Gestaltung der Sabbat-Gottesdienste am Freitagabend und Samstagmorgen sowie an Feiertagen ausschliesslich Männern vorbehalten. Die getrennte Sitzordnung in der Synagoge mit den Frauen auf der Galerie sorgt für akustische Probleme und erschwert die Teilhabe der Frauen am Gottesdienst. Auch ist den Frauen im regulären Gottesdienst die Lesung aus der Thora verwehrt. «Die Folge davon ist», so die Berner Rebbetzin Dorit Grant Kohn, «dass sich manche Frau fragt, warum sie eigentlich hier ist und was sie dieser Gottesdienst angeht.» Kompromisslösungen bieten seit über 15 Jahren gelegentliche Gottesdienste nur für Frauen oder in gemischter Sitzordnung am Samstagnachmittag.

Empowerment durch Lernen

Eine Änderung der Sitzordnung dürfte gemäss Kenner*innen der Gemeinde längere Zeit in Anspruch nehmen, eine technische Lösung für eine akustische Verstärkung am Sabbat ist nicht in Sicht. So setzen nun Rabbiner Michael Kohn und Rebbetzin Dorit Grant Kohn auf mehr Empowerment der Frauen, indem sie ihr Wissen steigern und entsprechende Lehrangebote aufbauen. Zwölfjährige Mädchen werden neu im fliessenden Lesen aus der Thora in hebräischer Schrift ebenso geschult wie zuvor nur die dreizehnjährigen Knaben.

Die Jugendlichen sollen die Inhalte von Thora und Gebetsbüchern gleichermassen kennen. Dieses Jahr wurde auch – erstmals in der Geschichte der Jüdischen Gemeinde Bern – eine Frau an einem Feiertag geehrt. Auch dies war bisher ausschliesslich Männern vorbehalten. Mitte Oktober erhielten Frauen erstmals die Gelegenheit, in einem Parallelgottesdienst die Simchat Thora zu feiern, an welcher der letzte Abschnitt der fünften Thorarolle gelesen und abgelöst wird durch den ersten Abschnitt der ersten Thorarolle.

Feminismus als Herzstück des Judentums

Die in England geborene und in Israel aufgewachsene Dorit Grant Kohn kennt aus anderen Ländern orthodoxe Gemeinden, die den Frauen wichtige religiöse Aufgaben zuteilen, wenn auch nicht das Rabbinat. Diesen Spielraum möchte sie auch in Bern ausschöpfen. Der in Norwegen geborene Rabbiner Michael Kohn – bekannt für seine YB-Kippa – unterstützt sie dabei vollumfänglich. Wie aus dem Magazin «Forum» der Jüdischen Gemeinde Bern zu entnehmen ist, bezeichnen ihn manche Frauen als «Feministen». Bisher bestand eine weitgehende Arbeitsteilung, wonach rituelle Aufgaben in der Synagoge Männern vorbehalten waren und den Frauen zahlreiche Riten zuhause zugeteilt wurden.

Rabbiner Kohn erwidert darauf in einem Essay im neusten «Forum»: «Wir sollten uns nicht auf die entschuldigende Idee einlassen, dass Männer und Frauen bereits gleichwertige, aber unterschiedliche Rollen haben.» Mehr noch: «Die Kernwerte des Feminismus decken sich mit den Werten, die die moderne Orthodoxie als Herzstück des Judentums betrachtet – die grundlegende Gleichheit von Frau und Mann, Gerechtigkeit und Menschenwürde.»

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