Der Antikapitalist, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30. Oktober

Glosse - Am Anfang war Luther

Überall Luther, Thesenanschlag, Reformation. Die Verehrung des reformatorischen Theologieprofessors nimmt bisweilen skurrile Züge an.

Überall Luther, Thesenanschlag, Reformation. Die Verehrung des reformatorischen Theologieprofessors nimmt bisweilen skurrile Züge an. Der Spielzeughersteller Playmobil meldet, dass pünktlich zum Start der Jubiläumsfeierlichkeiten «500 Jahre Reformation » die Martin-Luther-Figur wieder erhältlich sei. Gott sei Dank. Und dann die Zuschreibungen. Luther scheint alles in einem zu sein, zumindest der Erste in vielem. Er war der erste Antikapitalist (FAZ) und, mehr noch, der erste Vordenker des Sozialstaates («Weser-Kurier»). Wie nicht anders zu erwarten, war er ebenfalls der erste Popmusiker der Kirche («Welt»). Er war offenbar der erste Wutbürger und auch der erste Rebell («Spiegel»), der erste Reformator war er sowieso. Er hat dem Buchdruck zum Durchbruch verholfen und ist damit der erste Medienpionier (SWR, hier und hier). Ohne Luther kein Facebook. Luther der Held, der Tausendsassa. Es kann aus katholischer Sicht darum nur eine Forderung geben: Sprecht den Luther endlich heilig!

Die Ketzer aber scharren schon mit den Hufen. Laut «Freiburger Rundschau» war der Mönch aus Mansleben nämlich wenig schmeichelhaft der erste christliche Jihadist. Die Kritiker werden zudem nicht müde, auf frauenfeindliche und antisemitische Ausfälle des Mönches hinzuweisen– aber hatte die nicht jeder grosse Theologe und Kirchenvater? Nachsicht ist gefordert. Santo subito!

Jedoch, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck verwahrt sich dagegen und fordert Mässigung. Gelten lässt er bloss, dass der Luther ein «begnadeter Publizist» gewesen sei. Und auch die Medienstelle der Evangelischen Kirche Deutschlands vermeldet Ungeheuerliches: Luther war gar nicht der Erste. Grundsätzlich und überhaupt: «Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass erst Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung dem einfachen Volk die Heiligen Schriften zugänglich gemacht hätte: Volkssprachliche Bibelübersetzungen reichen zurück bis in die ersten frühchristlichen Jahrhunderte ...» Typisch Protestanten. Die Heiligsprechung fällt damit wohl ins Wasser. In geweihtes hoffentlich.

Andreas Krummenacher

 

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