Die Kirche 2040 ensteht jetzt. Foto: Pia Neuenschwander

Interreligiös gleichberechtigt

U40 sprechen über Kirche im Jahre 2040

Die Kirche 2014 ist schön, weil sie unter einem Dach mit Moschee, Hindutempel, alevitischem und buddhistischem Zentrum stehen wird. Gerade die äthiopisch-orthodoxe Kirche, aber auch die Muslime aus Albanien, die Hindus aus Sri Lanka und die Aleviten aus der Türkei, sie alle bauen ihre sakralen Räume nicht für sich selbst, sondern für ihre Nachkommen. Für Kinder und Jugendliche, die im Jahre 2040 erwachsen sind, als Bernerinnen und Berner mi thinduistischem, islamischem oder christlichem Glauben gleichberechtigt ihren Platz in der Gesellschaft wahrnehmen werden. Die Zugewanderten aus der ersten Generation giessen in Beton, dass sie hier zuhause sind, sie setzen mehr als ein handfestes Zeichen für die Anerkennung und Erhaltung ihrer kulturellen und religiösen Tradition. Damit bin ich beim eigentlich vorgegebenen Thema und bei meinem wichtigsten Anliegen angelangt. Die Kirche 2040 entsteht jetzt. Und daran schliesse ich meine erste von zwei Prognosen an, die ich für das Jahr 2040 zu geben wage:

1. Die Gleichberechtigung der Religionen gegenüber dem Staat wird im Jahre 2040 vollzogen sein.
Dazu liefere ich Ihnen gerne zwei Varianten zum Weiterdiskutieren, eine gute und eine schlechte. Ich beginne mit der Schlechten. So wie die Diskussion zurzeit läuft, werden die Pfarrlöhne längerfristig nicht mehr vom Staat bezahlt werden. Ob nach dem Minarettverbot bis im Jahre 2040 auch christliche Symbole wie das Kruzifix aus dem öffentlichen Raum verschwinden müssen und ob die Präambel der Bundesverfassung «Im Namen Gottes, des Allmächtigen …» ersatzlos gestrichen wird, darüber können wir nur spekulieren.

Realistischerweise müssen wir uns eingestehen, dass die politischen Entscheidungsträger je länger je weniger einen Bezug zum Christentum haben. Meine Generation (und die Jüngere erst recht) geht nicht zur Kirche, engagiert sich in keinem Pfarreirat, hat praktisch keinen Bezug zur Ortsgemeinde. In meinem Freundeskreis bin ich mit meinem Arbeitsfeld und meinem Interesse für die Religionen ein Sonderling. Um es noch krasser auszudrücken: Es braucht Mut, sich als U40 heute kirchlich zu engagieren.

Man könnte sagen, dass wir Christinnen und Christen, wenn die Trennung von Staat und Kirche im Jahre 2040 vollzogen sein wird, zumindest mit den anderen Religionsgemeinschaften im selben Boot sitzen: Denn sie sind schon heute völlig von staatlicher Unterstützung losgelöst, leisten in unbezahlter Arbeit ihre theologischen, seelsorgerlichen, diakonischen und katechetischen Dienste und werden vom Staat nur in Anspruch genommen, wenn die eigenen Angestellten nicht mehr weiterwissen.

Vielleicht kann die Diskussion aber auch anders verlaufen: Ich komme zur guten Variante: Ich glaube, dass durch den verstärkten Austausch mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen das Image der Kirchen und der Religionen sowie das Verständnis und die Anerkennung der diakonischen und theologischen Arbeit auch von der säkularen Bevölkerungsmehrheit wieder verstärkt wahrgenommen wird.

Durch die zugewanderten Religionsgemeinschaften werden Christinnen und Christen – gerade auch die vielen Unentschlossenen, die vielen Zweifelnden, die Generation, die 2040 einen gesellschaftlichen Einfluss zur Geltung bringen wird, herausgefordert – ihre Identität zu definieren, den Reichtum des christlichen Erbes wiederzuentdecken. Diese Stärkung der eigenen Identität geschieht, wenn Muslime uns aufgrund des dreieinigen Gottes einen Polytheismus vorwerfen und wir uns dagegen wehren wollen. Wenn wir denselben Vorwurf gegenüber Hindus tun und uns von ihnen belehren lassen, wenn wir die christliche Lehre derjenigen des Buddhismus, die im Westen dank dem Fokus auf die Autonomie des Menschen einen so grossen Bonus geniesst, gegenüberstellen oder wenn sich Christinnen und Christen verteidigen müssen gegenüber atheistischen Gruppen, die alle Gipfelkreuze ausreissen wollen und mit missionarischem Eifer unterwegs sind.

Die christliche Identität wird herausgefordert, wenn die jahrhunderte alte monotheistische Tradition der Sikh-Gemeinde unser Bild der drei monotheistischen Religionen aus den Angeln hebt, aber auch, wenn wir begründen müssen, ob und weshalb ein Berner Stadtkind mit muslimischem Glauben am Tag des Opferfestes zur Schule gehen soll, an Ostermontag aber schulfrei hat. Wenn hinduistische Freunde unsere Heiratsmentalität hinterfragen, weil doch bei uns die Hälfte der Ehen wieder geschieden werden. Wenn buddhistische Mitbürger fragen, wie viel Zeit wir Christen denn für unsere alltägliche religiöse Praxis aufwendeten. Oder wenn der neue Lehrplan 21 keinen Unterschied mehr macht zwischen Christentum und anderen Religionen; alle als gleichwertig bedeutsam für unsere Gesellschaft behandelt.  Es sind diese Fragen, die an Kirche und Gesellschaft heute gestellt werden. Die Reaktionen darauf werden sich auf die Kirche 2040 auswirken. Wir können uns von diesen Fragen inspirieren lassen oder uns davon abgrenzen.
Ich bin der Überzeugung, dass sich die Kirche daran reiben und sich daran weiter entwickeln muss. Ich glaube, dass der Dialog die Voraussetzung ist, sich selbst vertieft verstehen und mitteilen zu können.

2. Religion ist Sinn und Geschmack für die Unendlichkeit, hat Friedrich Schleiermacher gesagt.
Und ich behaupte, dass die Kirche und viele Menschen verschiedenster kultureller Herkunft und religiöser Beheimatung auch im Jahre 2040 diesen Geschmack – oder diese Geschmäcker – gemeinsam verteidigen und damit einen ganz zentralen Platz in der Gesellschaft einnehmen werden.

David Leutwyler (35), Geschäftsführer «Haus der Religionen - Dialog der Kulturen», Bern

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