Hat behutsam Fehler korrigiert, die Alttestamentlerin Ruth Scoralick. Foto: zVg

Neue Bibel-Übersetzungen

Katholiken und Lutheraner haben die Bibel neu übersetzt. Wie das geht und die Hintergründe dazu.

Die deutschsprachigen Standard-Bibeln liegen frisch übersetzt vor. Teile der neuen katholischen Einheitsübersetzung sind in der Schweiz entstanden. Ruth Scoralick übertrug das Buch der Sprichwörter in eine Sprache, die sich stark an Urtext und Tradition orientiert – und doch mit einem gestärkten Frauenbild aufwartet.

Luzern, Gibraltarstrasse: Ein unscheinbarer, grauer Neubau-Block. Im Büro einer einfachen Drei-Zimmer-Wohnung stehen zwei Schreibtische, auf einem stapeln sich Bücher, auf dem anderen steht der Computer. Hinter dem Arbeitsplatz grüsst der «Ballon im Fenster» von Paul Klee, rechts hängt eine Postkarte mit einem über 1000 Jahre alten Mosaik aus einer Kirche in Rom. Darauf ist eine Frau zu sehen und der Schriftzug: «Theodora Episcopa» («Bischöfin Theodora»). In dieser Studierstube, umgeben von diesen Bildern und vielen  Büchern, wurde Bibel gemacht. Hier tauchte Alttestamentlerin Ruth Scoralick in den Jahren 2005 und 2006 tief in die hebräische Denk- und Sprachwelt von vor 2500 Jahren ab. Was sie daraus schöpfte, ist die revidierte Fassung des biblischen Buchs der Sprichwörter.

HERR statt Jahwe

Ruth Scoralick, die 2011 von der Universität Luzern nach Tübingen wechselte, ist Fachfrau für das Buch der Sprichwörter, weise Mahnworte, die gerne König Salomo zugeschrieben werden. Die herausgebenden deutschsprachigen Bischofskonferenzen kamen bei der Revision der Einheitsübersetzung nicht um sie herum. Gut möglich, dass dabei einige der Herren Bischöfe über ihren Schatten springen mussten. Scoralick gilt als feministische Theologin. Ihr Forschen und Fühlen hält Sprengkraft für eine männerdominierte Kirche bereit.
Doch Scoralick polarisiert kaum. Zu differenziert sind ihre Argumente, zu konziliant ihr Auftreten. «Ich habe mich sehr zurückgehalten», lacht die stille Schafferin. «Ich wollte keinen Streit.» Es sei vor allem darum gegangen, offensichtliche Fehler zu beseitigen. Seitens der Herausgeber gab es zudem klare Vorgaben: Zum Beispiel, den Gottesnamen «Jahwe» neu konsequent mit «Herr» wiederzugeben. «Herr», Frau Scoralick? «Ich weiss, das klingt schrecklich», seufzt die Theologin. Und doch sei es richtig, vom Ausdruck «Jahwe» abzurücken. «Der Gottesname ist eigentlich unübersetzbar. Man hat immer ein Ersatzwort dafür gesucht, die Tradition einigte sich mehrheitlich auf ‹Herr›». Scoralick gewinnt dem «Herrn» sogar Positives ab: «Immerhin kommt so das Wesen Gottes als persönliches Gegenüber klarer zum Ausdruck.»

Starke, sinnliche Frauen

Andernorts konnte Scoralick durchaus feministische Duftnoten setzen. Die personifizierte Weisheit gewinnt im Buch der Sprichwörter an Kreativität: So heisst es neu: Sie «arbeitet voll Lust mit ihren Händen»; davor stand: Sie «schafft mit emsigen Händen» (Spr 31,13). Etwas weniger Hausfrau, etwas mehr Frauenpower, Sinnlichkeit inklusive. Das Kapitel trägt auch nicht mehr den etwas altbackenden Titel «Lob der tüchtigen Frau», sondern… gar keinen mehr. Ruth Scoralick hatte «Lied auf die starke Frau» vorgeschlagen.
Auch andernorts in der revidierten Einheitsübersetzung zählen Frauen zu den Gewinnerinnen. In den neutestamentlichen Paulus-Briefen werden nun vielerorts nicht bloss die «Brüder», sondern «Brüder und Schwestern» angesprochen. Schliesslich heisst der Apostel Junias aus dem Römer-Brief – nach einhelliger Meinung der Forscher: endlich und folgerichtig! – jetzt Junia. Eine «Geschlechtsumwandlung» mit Folgen? «Das stellt die Ämterfrage durchaus noch einmal neu», meint Detlef Hecking von der Bibelpastoralen Arbeitsstelle (BPA) des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks. «Daran wird deutlich, dass man sich für den Ausschluss von Frauen von kirchlichen Weiheämtern nicht auf das Argument berufen kann, dass nur Männer Apostel gewesen seien.»

Gott: geheimnisvoller, distanzierter

Die neue Einheitsübersetzung fusst auf dem griechischen und hebräischen Urtext. Gleiches galt schon für die Vorläuferversion von 1979, zuvor war die so genannte «Vulgata», eine traditionelle lateinische Übersetzung, für die katholische Kirche massgebend. Stellenweise hatte man 1979 den bisweilen sperrigen Urtext zugunsten einer verständlicheren Sprache modernisiert. Diesen Zeitgeist-Einfluss fährt die jetzige Revision wieder zurück. Ein Beispiel: In der alten Übersetzung offenbarte sich Gott dem Mose so: «Ich bin der ‹Ich bin da›». Heute heisst es schlicht: «Ich bin, der ich bin».

Schimmerte zuvor ein seelsorgerliches Interesse durch, Gottes allgegenwärtige Präsenz zu be tonen, bleibt Gott nun geheimnisvoller und distanzierter. Die revidierte Einheitsübersetzung lässt Stolperstellen stehen, statt sie zu glätten. Das macht sie zu einer anspruchsvollen Lektüre. Was der Fachwelt gefällt, kann den Durchschnittschristen überfordern. Ein Risiko? «Es lohnt sich, den Menschen die typische Sprachform der Bibel zuzumuten», findet Detlef Hecking. Er wirbt dafür, die Bibel auf eigene Faust zu entdecken und verschiedene Fassungen zu vergleichen. «Eine Bibel fällt nicht einfach vom Himmel. Man muss sich selber für eine Deutung entscheiden!»

Erdbeben geben zu reden

So gilt: Wer sucht, der findet. Trouvaillen in der neuen Bibel sind zum Beispiel zahlreichere Erdbeben. Im Matthäus-Evangelium heisst es: «Als er (Jesus) in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt.» Früher war sie bloss «in Aufregung» geraten, ganz früher «in Bewegung» (Vulgata). Ein verstärktes Symbol der Gottesgegenwart, ein ebenso hübsches wie erschütterndes Detail. Die Änderung lässt Liebhaber der alten, lateinischen Tradition schon mal, nun ja, erbeben, wie ein Blick auf einschlägige Internet-Seiten zeigt. Die neue Einheitsübersetzung ist lautmalerischer, gegenständlicher, bisweilen sprachlich brüsker – und sie wird mit Sicherheit zu reden geben. Gottlob.

Remo Wiegand

 

Neue Luther-Bibel: Sperrig, aber kraftvoll

Auch die neue Luther-Bibel fördert aus dem Erdreich früherer Sprachwelten neue Erdbeben zutage: «Und siehe, da war ein grosses Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde», heisst es nun im Matthäus-Evangelium (Mt 8,24). In der alten Fassung von 1984 ist das Beben «nur» ein «gewaltiger Sturm auf dem See».

Tradition ist modern
Die Erdbeben zeigen: Die Bibel-Forscher auf evangelischer wie katholischer Seite kamen auf unterschiedlichen Wegen zu ähnlichen Ergebnissen. Eine ökumenische Einheitsübersetzung, wie es ursprünglich einmal geplant war, kam zwar nicht zustande, die Regelflut aus Rom wurde der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) irgendwann zu viel. Einheitsübersetzung und Luther-Bibel zeugen jetzt eher von einer versöhnten Verschiedenheit. Man surft spürbar auf der gleichen, zeitbedingten Welle. Dazu gehört konfessionsübergreifend die Orientierung am Urtext. Modern ist heute, was der Tradition und einer Sehnsucht nach den Wurzeln entspricht.
Bei der Luther-Bibel – im Umfeld des Reformationsjubiläums ganz besonders – bedeutet dies zusätzlich: Zurück zu Luther: «Luther hatte das grosse Talent, mit markigen Worten auch die emotionale Ebene der Menschen anzusprechen», sagt Benjamin Schliesser, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. So tauchen Luther-Original-Wortkreationen in der neuen Bibel wieder auf: «Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?», schleudert Jesus den Pharisäern entgegen (Mt 23,33). Luthers Jesus wirkt antiquierter, aber auch bissiger als zu vor: 1984 nennt Jesus seine Adressaten noch «Schlangenbrut».

«Otterngezücht», «Scheffel»
Wo Luther draufsteht, ist viel Luther drin. So sollte heuer auch verhindert werden, was 1975 geschehen war: Damals hatte es eine Revision gewagt, den «Scheffel» aus Luthers eingängiger Wendung «sein Licht nicht unter den Scheffel stellen» durch einen «Eimer» zu ersetzen. Die Version fiel beim Kirchenvolk durch und blieb als «Eimer-Testament» in Erinnerung. Stellt sich die Frage: Ging es hier mehr um Luther oder um die Original- Bibel?
Ist die EKD einem Luther-Kult erlegen? Nein, findet Schliesser. Frappant sei indes, wie sich die Zeiten gleichen würden. «Wie vor 500 Jahren steht auch heute wieder die Zukunft der Kirche auf dem Spiel. Es ist eine Umbruchszeit, in der eine starke Rückbesinnung auf die Quellen stattfindet.» Das heisst: In der Krise will die Kirche mit Luther zurück zu den Ursprüngen des Christentums, um es neu zu beleben.

Eher fürs Feuilleton
Die Mischung aus Urtext- und Luther-Orientierung macht die Luther-Bibel kraftvoll, aber nicht immer ganz einfach zu lesen. «Die primäre Zielgruppe war das Zeitungs-Feuilleton», sagt Schliesser, «eher als auf die Volksnähe zielte man auf die Kulturrelevanz.» Leichter lesbare und durchaus auch empfehlenswerte Alternativen seien die «Hoffnung für alle» oder die «Volxbibel».

Remo Wiegand

Hinweise: Die neue Luther-Bibel ist seit Oktober im Handel erhältlich, die neue Einheitsübersetzung soll vor Weihnachten auf den Schweizer Markt kommen.


Bibelsätze im Schaufenster

Vieles bleibt gleich in den neuen Bibel-Ausgaben. Anhand einiger Lieblings-Stellen von Bibel-Leserinnen und -Lesern beleuchten wir das Mass der Änderungen.

 

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