Norkhan Saadategende, Felix Weder, Franz Erni, Salmoni Qutratullah. Foto: Jürg Meienberg

Ökumene in Münchenbuchsee

Menschenfreundlichkeit kommt vor Dogmatik.

Vorortsgemeinden sind manchmal prophetischer, als sie selber glauben. Münchenbuchsee lebt es vor. Seit fünfzig Jahren feiern die Katholikinnen und Katholiken ihre Gottesdienste in der gastfreundlichen reformierten Kirche.


Seit 1966 feiern die zugezogenen Katholikinnen und Katholiken in Münchenbuchsee ihre Gottesdienste in der reformierten Kirche. Von Anbeginn weg waren sie in der Schwesterkirche willkommen. Trotzdem plante die Pfarrei St. Franziskus Zollikofen, zu der Münchenbuchsee gehört, vor Ort eine eigene Kirche zu bauen, und die Pfarrei kaufte für ihr Vorhaben Bauland. In den 1980-er-Jahren wurde die Katholikenvereinigung gegründet.
Franz Erni, ein Gründungsmitglied der Vereinigung und später einer der umsichtigen Präsidenten erinnert sich, dass in der Blütezeit des Vereins vor allem Familien aktiv waren: «Fast alles drehte sich damals um den Religionsunterricht. Die Katholikenvereinigung setzte sich für geeignete Räumlichkeiten ein, damit der Unterricht zugunsten der Kinder und Jugendlichen in eigenen Räumen stattfinden konnte. Sie vertrat die Anliegen der Katholiken in Münchenbuchsee gegenüber der reformierten Kirchgemeinde, der politischen Gemeinde und der eigenen Pfarrei.»

In der Region Bern wurde ab den 50er-Jahren eine Kirche nach der anderen gebaut. In Münchenbuchsee war das ökumenische Miteinander so kreativ und herzlich, dass die Katholiken immer weniger an eine eigene Kirche dachten, sondern von einem Pfarreizentrum träumten, das für Unterricht, soziale Aufgaben und für Gemeindebildung als «Herzschrittmacher» wirken sollte. Sakrales Leben sollte von einer sozialen Haltung heraus glaubwürdig werden. Kam dazu, dass der Gottesdienstbesuch abnahm. Felix Weder, der seit gut sechs Jahren zuständige Theologe für Münchenbuchsee, bestätigt dies: «Wie überall hat auch bei uns der Gottesdienstbesuch abgenommen. Ausser an den Hochfesten, Erstkommunionfeiern, Firmung oder Beerdigungen. Da sind die Gottesdienste sehr gut besetzt.»
Franz Erni kennt einen der Gründe für die Abnahme: «Früher nahmen wir in katholischen Stammlanden an Gottesdiensten aus Pflicht teil, auch nach durchgefeierten Nächten sassen wir halb schlafend in der Messe. Heute besuche ich Gottesdienste, wenn ich dazu ein Bedürfnis habe. Ich empfinde das irgendwie ehrlicher.»

Spielt es eine Rolle, dass es immer weniger Priester gibt und die Theologinnen und Theologen die Eucharistie nicht feiern dürfen? Franz Erni schüttelt den Kopf: «Ein gut gestalten der Wortgottesdienst ist für mich oft bereichernder als eine schnell vollzogene Eucharistiefeier.» Das soziale, gemeinschaftliche und ökumenische Engagement wuchs mit den Jahren kontinuierlich, sagt Erni. Unterricht,Weiterbildungen, Arbeitslose, Altersarbeit, Flüchtlinge – die Aufgaben nahmen zu.

Die geplante Kirche wurde fallengelassen, das dafür vorgesehene Land verkauft und mit dem Erlös das «Lindehus» mitten im Dorf gekauft. Nun standen genügend Räumlichkeiten für verschiedene Aktivitäten zur Verfügung. Aktuell finden im «Lindehus» neben anderem Deutschkurse für Flüchtlinge statt und es ist die Gehörlosenseelsorge einquartiert. Die Gottesdienste werden weiterhin in der reformierten Kirche gefeiert. «Wir haben eine eigene Sakristei bekommen und der reformierte Kirchgemeindepräsident Walter Gygax schenkte uns ein Weihwasserbecken», erzählt Felix Weder: «Wir schenken den Reformierten jedes Jahr eine Osterkerze.» Der gegenseitige Austausch ist eine nicht nur symbolische Bereicherung für beide Seiten.

Der kürzlich in den Bergen tragisch verunglückte Josef Birrer war der letzte Präsident der Katholikenvereinigung. Weil kein Nachfolger gefunden werden konnte, löste sich die Vereinigung 2013 auf. Nachwuchs für die Ämter und aktive Mitglieder fehlten. «Vor allem aber war mit dem Bezug des ‹Lindehus› eine Vision umgesetzt. Es fehlte ein eigentliches Nachfolgeprojekt für den Verein», stellt Franz Erni klar und: «Das gegenwärtige Engagement in der freiwilligen Betreuung von Flüchtlingen etwa zeigt, dass Menschen heute eher an zeitlich befristeten und konkreten Aufgaben interessiert sind, und weniger an Vereinsaufgaben. Man muss die Zeichen der Zeit sehen.» Deshalb findet die Feier zum 50-Jahre-Jubiläum auch mit afghanischen Flüchtlingen statt.
Sie werden nach einem festlichen – natürlich ökumenisch gefeierten – Gottesdienst ein feines Mittagessen zubereiten. Felix Weder lacht: «Sie kochen afghanische Köstlichkeiten mit Lamm. Und wer Lamm nicht mag, kann sich an einem Rindsschmorbraten gütlich tun.»
Menschenfreundlichkeit kommt vor Dogmatik. In Münchenbuchsee auch beim Essen.

Jürg Meienberg


50 Jahre katholische Gottesdienste in Münchenbuchsee
Sonntag, 4. September, reformierte Kirche Münchenbuchsee. Programm:
10.00: Ökumenischer Festgottesdienst mit Sonja Gerber, Pfarrerin, Paul Hengartner, Pfarreileiter, Felix Weder, Seelsorger. Der Kirchenchor Münchenbuchsee singt die Schubert-Messe in G-Dur unter der Leitung von Dominik Nanzer.
Danach afghanisches Mittagessen im reformierten Kirchgemeindehaus
Alle sind herzlich eingeladen!

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