«Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die Kirche ist heute noch, auch als Volkskirche, ihr Geld mehr als wert.» Markus Rusch. Pia Neuenschwander

Transparent und progressiv

Ein Interview mit Markus Rusch

Die Synode der Röm.-kath. Landeskirche des Kantons Bern hat in ihrer Frühjahrssitzung die Stellungnahme des Synodalrates zum Bericht des Regierungsrates zum Verhältnis Kirche und Staat im Kanton Bern zur Kenntnis genommen. Synodenpräsident Markus Rusch, Uetendorf, nimmt Stellung.


«pfarrblatt»: Als Präsident der Synode, also der Legislative der Röm.-kath. Landeskirche des Kantons Bern, sind Sie der höchste demokratisch gewählte Katholik im Kanton Bern. Was sind Ihre Aufgaben?
Markus Rusch: Einerseits bereite ich jährlich zweimal die Synode vor und leite sie auch, zum anderen habe ich die Oberaufsicht über den Synodalrat wahrzunehmen, da die Synode keine Geschäftsprüfungskommission kennt.

Sie haben lange auch die grosse Kirchgemeinde Thun präsidiert. Was für eine Art Katholizismus lebt im Berner Oberland?
Ich bin ein Appenzell Innerrhoder. Da sind 90% katholisch. Ich wurde auch so erzogen und sozialisiert. Als ich mit der Familie hier ins Oberland umzog, fand ich mich in der Diaspora wieder. Ich erlebe einen sehr offenen Katholizismus und ein überaus gutes Verhältnis mit unseren reformierten Mitchristen. Wir leben in einem äussert freundschaftlichen Verhältnis. Mit unserem reformierten Partnergremium treffen wir uns regelmässig zu einer gemeinsamen Sitzung. Nur einmal erlebte ich emotionale und harte Diskussionen, als es um die Abstimmung über die Abschaffung des Jesuitenartikels in der Bundesverfassung ging. Das hat mich damals als Katholik schon etwas ernüchtert. Aber das ist 40 Jahre her.

Welcher Art von Kirche sind Sie selber verpflichtet?
Ich bin ein Kind des Zweiten Vatikantischen Konzils. Die Aufbruchsstimmung von damals prägt mich heute noch. Ich bin einer offenen, fortschrittlichen Kirche verpflichtet, die durchaus ihre Traditionen lebt, aber sie auf das Hier und Jetzt ausrichtet und weiterentwickelt. Das Erneuerungsprogramm des jetzigen Papstes entspricht mir völlig.

Der Kirche im Kanton Bern weht eine steife politische Brise entgegen. Wie nehmen sie diese wahr?
Die anstehenden Fragen sind vom allgemeinen Spardruck geprägt. Ich orte da keine generelle Kirchenfeindlichkeit. Die Debatten in der Finanzpolitik machen eben auch vor der Kirche nicht halt.

Ihr Exekutivgremium, der Synodalrat, hat nun nach einer breiten Vernehmlassung bei den Kirchgemeinden Stellung zum Bericht der Regierung genommen. Wie beurteilen Sie die Stellungnahme?
Grundsätzlich begrüsse ich die Stellungnahme. Sie zeigt, dass unsere Kirche positiv auf die Entflechtungsvorschläge einsteigt. Auch nach der Kenntnisnahme der Synode bleiben bei mir persönlich drei Vorbehalte:
Erstens: Im Expertenbericht und im Bericht des Regierungsrates fehlt die Besonderheit unserer Konfession, vor allem unser duales System – das demokratische staatskirchenrechtlich geprägte und das hierarchisch aufgebaute kirchenrechtliche System. Diese Realität ist in der Stellungnahme des Synodalrats zu knapp eingeflossen.
Zweitens fehlt die Erwähnung der Bedeutung der Mitglieder unserer Kirche ohne Schweizer Pass. Über 40 Prozent unserer Steuerzahlenden gehören einer anderssprachigen Mission an. Unsere Missionen, aber auch unsere vielen Integrationsprojekte, finden keinen Nachhall in den Papieren.
Und drittens: Bei den Steuern der juristischen Personen soll positiv umschrieben werden, für was die Gelder eingesetzt werden dürfen. Eine negative Umschreibung, für was sie nicht eingesetzt werden dürfen, liesse den einzelnen Kirchgemeinden aber mehr Spielraum. Da könnten die Gelder dann auch zeitgemässer für diakonische Projekte, den Bildungsbereich oder für Integrationsaspekte eingesetzt werden. Dieser finanzielle Spielraum wird für eine zeitgemässe Seelsorge immer wichtiger.

Die Synode hat zustimmend von der Stellungnahme Kenntnis genommen. Eine Differenz gab es bei einigen Kirchgemeinden. Sie wollen das Personal selber anstellen. Wie stehen Sie zu dieser Minderheit?
Verschiedene grössere Kirchgemeinden haben heute schon das nicht kantonal bezahlte Personal selber angestellt und administrativ betreut. Auf dieser Ebene gibt es also bereits heute schon geschultes Fachpersonal und die dafür notwendige Infrastruktur. Deshalb hat eine Minderheit dafür plädiert, dass die Personaladministration bei den Kirchgemeinden bleibt und nicht durch die Landeskirche übernommen werden soll. Man will keine neue, teure Bürokratie.

Kleinere Kirchgemeinden haben diese Infrastruktur nicht.
Das ist richtig. Da müssten die Grösseren bereit sein, die Geschäfte für die Kleineren zu führen. Man müsste ja nur die neu entstandenen Pastoralräume ernst nehmen, wie wir das im Oberland gemacht haben. Und vergessen wir nicht, vor Ort weiss man am besten, welches Personal man braucht. Da ist auch eine gewisse Kontrolle dabei, dass nicht Geistlichkeit angestellt wird, die quer zur vorherrschenden Mentalität in der betreffenden Kirchgemeinde steht – wie das in gewissen anderen Bistümern in der Schweiz geschieht.

Ist die Landeskirche administrativ und finanziell in der Lage, die Personaladministration zu übernehmen?
Das ist zumjetzigen Zeitpunkt eine schwierige Frage. Das wird sich klären, wenn wir wissen, welche finanzielle Mittel der Staat den Landeskirchen zukommen lassen will. Es wäre ja auch denkbar, dass man in einem Pool mit den Reformierten und den Christkatholiken gemeinsam eine Personaladministration einführt, ähnlich wie es der Kanton jetzt handhabt.

Bei der Ausarbeitung eines allgemeinen Anerkennungsgesetzes für andere Religionsgemeinschaften zeigt sich der Synodalrat, wie der Regierungsrat ja auch, zurückhaltend. Die Gesellschaft hat sich durchmischt, es existieren viele interreligiöse Projekte. Warum ist hier die Landeskirche nicht mutiger?
Ich kann Ihren Gedanken nachvollziehen. Ich unterstütze zumBeispiel die Freiburger Bemühungen, den Islam zu erklären und uns näher zu bringen. Das wäre allemal besser, als Geistliche einzufliegen, die weder unsere Kultur kennen noch unsere Sprache sprechen. Wir haben in unserer Kirche eine hohe Kompetenz in interreligiösen Fragen. Aber realpolitisch hat die Frage einer erweiterten Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt wohl keine Chance.

Sie sind kürzlich in den Vorstand des Kirchgemeindeverbandes gewählt worden. Der Verband spielt auch in der Ökumene eine wichtige Rolle, da er alle christlichen Konfessionen vereinigt. Was können Sie in dieser Position für die Kirche tun?
Ich kann im Verband unsere Eigenheiten, das duale System oder das Gewicht der Anderssprachigen verstärkt einbringen. Der Verband bietet den Kirchgemeinden kostenlose Beratung in juristischen Fragen oder finanzpolitischen Problemen. Und die beteiligten Konfessionen lernen sich gegenseitig kennen und schätzen und können ihre Anliegen auch gemeinsam im Kanton einbringen. Das ist gerade jetzt wichtig.

Sie stammen aus dem Appenzell, leben im Berner Oberland, waren lange Jahre in verantwortlicher Stellung beim Militär und setzen sich seit Jahrzehnten für die Kirche ein – was sind die inneren Werte dieser für Ihr Wirken erfolgreichen Rezeptur?
Als Innerrhoder erfuhr ich den Staat übersichtlich und bürgernah, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Der Staat hat mir in meinen Beruf viel gegeben, ich möchte deshalb dem Staat etwas davon zurückgeben, in der Form meiner freiwilligen Kirchenarbeit. Die Kirche lehrte mich auch, auf Kleinere zu achten, der soziale Aspekt ist mir wichtig. Und unser demokratisches System funktioniert nur so lange, als dass Freiwillige bereit sind, einen Einsatz zu leisten. Das sind meine inneren Impulse, mich einzusetzen.

Es wird aber immer schwieriger, Freiwillige für solche Aufgaben zu finden.
Die Berufstätigen heute sind dichteren Belastungen ausgesetzt als wir zu unserer Zeit. Dazu kommt, dass die Familienarbeit aufgeteilt wird. Ich sehe das bei meinen Sohn. Er arbeitet 70%, seine Frau 40%. Sie teilen sich die Familienarbeit. Sie haben nun beide mehr von den Kindern, als mein Sohn von mir hatte.

Was braucht die Kirche, dass sie weiterhin ihre Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen kann?
Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die Kirche ist heute noch, auch als Volkskirche, ihr Geld mehr als Wert. Wir sollten trotz allen internen, selbst gemachten Krisen nicht in Selbstzweifel verfallen. Wir müssen transparent, progressiv und offen auftreten und unsere Seelsorge überall einbringen zugunsten der Schwachen. Vor Ort leisten Pfarreien und Kirchgemeinden viel konstruktive Arbeit im sozialen wie im kulturellen Bereich. Wer sich auf eine Kirchgemeinde oder Pfarrei einlässt, wird erleben, wie zeitgemäss und effizient gearbeitet wird.

Interview: Jürg Meienberg


Frühere Artikel zum Thema im Dossier "Kirche - Staat"

Synode und Jubliäumsfeier vom 5. Juni 2015 im Rathaus Bern
Begrüssungsrede von Markus, Rusch, Synode-Präsident der Röm. Kath. Landeskirche im Kanton Bern

Die römisch - katholische Landeskirche des Kantons Bern und damit unsere Synode bildet einen der vier Pfeiler, auf denen unsere Kirche im Kanton Bern heute beruht. Dieses staats- und kirchenrechtliche Viereck – eben das Bistum Basel, der Heilige Stuhl und der Kanton Bern  sowie unsere Landeskirche - gibt uns Berner Katholiken religiös wie finanziell, regional und schweizerisch wie auch grenzüberschreitend eine vielfältige und doch solid gefügte Heimat.

Wenn sich heute einmal mehr unser Kirchenparlament, die Synode, zu ihrer Juni-Session hier im Saal des Berner Kantonsparlaments versammeln konnte, so wäre dies vor 150 Jahren schlicht utopisch gewesen. Schon 1864 war jedoch im Jura wie in der Bundesstadt und weiteren Zentren des Kantons die Stellung der katholischen Kirche sowie der Bevölkerungsanteil ihrer Gläubigen auf gutem Weg zu Anerkennung und Wachstum in einem reformiert geprägten Kanton. Wie kam es nun im 19. Jahrhundert zum kirchen- und kantonsgeschichtlichen Markstein, an den wir uns heute erinnern, und später zur heute privilegierten Stellung als Römisch Katholische Landeskirche ?

Wenn schon bald einmal zwei Jahrhunderte der Kanton Bern als einer der zehn Diözesan-Stände zum Bistum Basel gehört, so geschah dies – wie Rom gebaut wurde – nicht an einem einzigen Tag. Und diese Zugehörigkeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Mitwirkung interkantonaler und internationaler Kräfte.

Der erste Schritt war, gemäss dem Wiener Kongress von 1815, die Übernahme des Nord- und Südjuras – als einstiges Fürstentum bereits Diözesangebiet des Basler Bischofs – durch den Staat Bern. Damit wurde der früher mächtigste Schweizer Kanton wieder vergrösserte, aber auch kulturell bereichert: Mit dem frankophone Gebiet erhielt Bern auch einen katholischen Bevölkerungsteil, dessen Religionsfreiheit der reformierte Staat garantieren musste.

Als zweiter Schritt folgte – 300 Jahre nach der Berner Reformation! – die Wiedererrichtung und Neuumschreibung des Bistums Basel. Die liberal orientierten Kantone Luzern, Zug, Solothurn (als neuer Bischofssitz) und Bern schlossen 1828 mit dem in Luzern residierenden Nuntius im Auftrag von Papst Leo XII. das bis heute gültige Konkordat. In diesem völkerrechtlichen Dokument ist u.a. die relativ demokratische Bischofswahl geregelt, an der neben dem Domkapitel auch die Diözesanstände beteiligt sind.

Aber mit diesem Konkordat war neben dem Jura noch nicht der ganze Kanton ins neue Bistum integriert. Denn alle Kantonsgebieten links der Aare und damit auch die Hauptstadt Bern gehörten, wie das Waadtland, seit dem Mittelalter zur Nachbardiözese Lausanne, deren Bischof nach der Reformation in Freiburg Aufnahme fand. Nur der „alte Kantonsteil“ östlich der Aare hatte mit der übrigen Deutschschweiz die „Schweizer Quart“ des deutschen Bistums Konstanz gebildet, das in den Kriegen Napoleons unterging. Dieser Übergang auch des grossen westlichen Kantonsteils an das Bistum Basel war Gegenstand der Konvention von 1864 zwischen dem päpstlichen Nuntius und dem Regierungsrat, die das Konkordat von 1828 ergänzt und die wir heute, anlässlich ihres Inkrafttretens vor 150 Jahren, feiern wollen.

Im Jahr dieser Vereinbarung wurde übrigens – als erster katholischer Kirchenbau in der Stadt Bern – die Peter & Paul-Kirche neben dem Rathaus eingeweiht (1864); seit 1798 waren im Münsterchor und seit 1814 in der Predigerkirche wieder Messen gefeiert worden.

Lassen Sie mich nur den zweiten und letzten Artikel dieses knappen Vertragswerkes zitieren: „Der Stand Bern wird den Pfarrern des neuen Teils eine angemessene jährliche Besoldung festsetzen und Bedacht darauf nehmen, diejenige des Pfarrers der Stadt Bern auf einen Betrag zu bringen, welcher den Bedürfnissen seiner Stellung entspricht, sowie ihn ferner mit hinlänglichen Gehaltsanweisungen für ein Vikariat zu versehen.“

Dieser Vertragstext entführt uns überraschend zurück in die aktuelle Gegenwart, in die Berner „Kirchenpolitik“. Denn das Stichwort „Pfarrerbesoldung“ trifft unmissverständlich „des Pudels Kern“ in der laufenden Debatte über das künftige Verhältnis von Kirche und Staat im Kanton Bern. Zum diesbezüglichen Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat durfte auch unsere Landeskirche Stellung nehmen – ein weiteres Beispiel für die seit 30 Jahren erreichte Integration und Autonomie der katholischen Kirche und Bevölkerung in unserem Kanton.

Auf diesem Hintergrund und im Hinblick auf ein neues Kirchengesetz möchte ich gegenüber dem Kanton unsere grosse Hoffnung ausdrücken: das Parlament werde – bei allem Zwang zum Ausgleich der Staatsfinanzen – der Tatsache gerecht werden, dass die Leistungen der Kirchen für die Gesellschaft grösser sind als der Gegenwert, den diese vom Kanton in Form der Finanzierung von Pfarrstellen erhalten.

Markus Rusch, Präsident der Synode

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