Warten heisst sehnen. Foto: Umit Bulut, unsplash.com

Wandel: Neues er-warten

Der Hochschulseelsorger Fabian Frey denkt aus christlicher Sicht über Veränderungen nach.

Wir feiern den Jahreswechsel in einer schnelllebigen Zeit. Vieles bewegt sich, von gesellschaftlichen Veränderungen über Neuerungen in der Kirche bis hin zum Klimawandel. Der Hochschulseelsorger Fabian Frey nimmt Veränderungen aus christlicher Sicht ins Visier.

Von Fabian Frey

Veränderungen gehören zum Menschsein. Sie sind weder gut noch schlecht und Teil des Lebens. Unsere Beziehungen zueinander verändern sich, wir begegnen neuen Menschen, andere verlassen uns. Auch in der Natur um uns herum ist ein stetiger Wandel erkennbar. Statt Veränderungen einfach nur abzuhaken oder Heil in einem immer wiederkehrenden Neuanfang zu suchen, gilt es, Wandel bewusst wahrzunehmen und ihn als das zu begreifen, was er ist: als Teil unserer menschlichen Identität.

Augenzwinkernd und biologisch vereinfacht gesagt ist Menschsein ein stetiger «Stoffwechsel». Theologisch ausgedrückt sind wir Gast auf Erden, und alles Leben ist ein Geschenk. An Silvester feiern wir eine punktuelle Veränderung: den Jahreswechsel. Im Alltag ist es aber oft nicht so, dass von heute auf morgen alles anders ist. Meistens erfolgen Veränderungen über einen längeren Zeitraum, in einem schleichenden Prozess. Daher sind Neujahrsvorsätze meist nur von kurzer Dauer. «Neues Jahr, neues Glück» oder «Von nun an mache ich alles besser» funktioniert selten, obwohl wir uns das jedes Jahr aufs Neue vornehmen.

Veränderungen brauchen Zeit, und es braucht Durchhaltevermögen, Übung und Geduld, Alltagsmuster und Gewohnheiten aufzubrechen. Christsein im aktiven Warten Für uns Christ*innen herrscht eine gewisse Spannung zwischen einer Erwartungshaltung und dem sichtbaren Wandel in der Welt und im eigenen Leben. Wie oft wünschen wir uns, dass sich etwas ändern möge oder dass wir uns in gewissen Situationen anders verhalten würden.

In seinem Aufsatz «An die Zukunft glauben» beschreibt der englische Dominikanerpriester Timothy Radcliffe das Christ*insein in diesem Sinne als Ganzes. Mit Blick auf die Advents- und Weihnachtszeit formuliert er, dass Advent nicht nur sprichwörtlich warten heisst, sondern dass Warten das Christ*insein im Innersten ausmacht und verkörpert. Warten heisst in diesem Sinn aber nicht passiv verharren, sondern sich nach vorne auszustrecken, zu etwas hin. Es bedeutet, sich nach etwas zu sehnen. Radcliffe führt fort: Warum gehört das Warten so sehr zum Christentum? Warum gibt uns Gott nicht einfach jetzt das, wonach wir uns sehnen: Frieden, Liebe, Glück und Gerechtigkeit für alle Menschen auf dieser Erde.

2000 Jahre sind seit der Geburt Christi vergangen und noch immer warten wir. Warum? Gemäss Radcliffe ist ein Grund hierfür, dass der christliche Gott kein Gott im üblichen Sinn ist – kein Held, der die ganze Welt rabiat mit himmlischen Superkräften auf den Kopf stellt, sondern einer, der aus unserem tiefsten Inneren kommt. Gott kommt zu uns, wie ein Kind zu einer Mutter kommt und sie in der Tiefe ihres Seins langsam verwandelt. So wie es neun Monate für eine Schwangerschaft braucht, braucht Wachsen und Heilen seine Zeit. Gott achtet mit unendlichem Respekt auf unsere Freiheit und auf unseren Lebensrhythmus. In diesem Sinn verlangt Wandel von uns immer wieder Geduld, Ausdauer und Beharrlichkeit.

Manchmal treffen uns Veränderungen aber auch völlig überraschend, sei es als Geschenk des Himmels oder als Herausforderung, die uns in unseren Grundfesten erschüttert. Vielleicht gelingt es im neuen Lebensjahr, Veränderungen nicht von vornherein als gut oder schlecht zu bewerten, sondern sie als das zu nehmen, was sie sind – die alltägliche Essenz unseres Lebens.

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