Ein Luther-Verehrer prägte die Religion auf den Färöern

Keiner kennt sich wohl derzeit auf den Färöern so gut mit der hiesigen Kirchengeschichte aus wie Jákup Reinert Hansen. Seit vier Jahren ist er an der Universität in der Hauptstadt Tórshavn für dieses Fach zuständig. Der 62-Jährige besitzt nicht nur ein grosses Expertenwissen, sondern erzählt auch gerne von seiner über 30-jährigen Erfahrung als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Volkskirche. Im Interview spricht er darüber, wieso die meisten Färinger den Glauben besitzen, den sie heute haben – und warum er selber einmal drei Tage auf einer Insel festsass.

«pfarrblatt»: Welche Einflüsse haben die Kirchengeschichte auf den Färöern definiert?

Jákup Reinert Hansen: Alte Quellen deuten darauf hin, dass irische Mönche im 6./7. Jahrhundert auf den Färöern gelebt haben und dann von den Wikingern vertrieben worden sind. Wenn das stimmt, war die erste Bevölkerung, die hier gelebt hat, christlich. Um 825 kamen die Wikinger mit ihrem heidnischen Glauben; im Jahr 1000 wurde die Christianisierung vollzogen – und die Wikingerzeit war beendet. Später hatten die Färöer die Position eines katholischen Bistums der norwegischen Kirche: Die Inselgruppe gehörte zu dieser Zeit politisch zu Norwegen.

Früher war vor allem der Ort Kirkjubøur bedeutend...

...der Bischof hatte dort seine Residenz. Kirkjubøur war das kirchliche und administrative Zentrum mit mehreren Kirchen. Die weisse Kirche wurde etwa im 11. Jahrhundert gebaut, später renoviert und wird heute noch genutzt. Daneben gibt es die Ruine der Domkirche – ein gotisches Gebäude aus dem 13. Jahrhundert. Lange herrschte der Glauben vor, dass die Domkirche nicht fertig gebaut worden ist, weil sie zu teuer war und es deswegen einen Aufstand gegeben hatte. Neue archäologische Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Domkirche ebenfalls fertig gebaut wurde.

Wann und warum wurden die Färinger reformiert?

1538. Der dänische König Christian III. war persönlich vom lutherischen Glauben angetan und hatte Verbindungen zu Martin Luther. Er beschloss, dass dieser Glaube in seinem Reich alleinbestimmend sein sollte. Johannes Bugenhagen – ein Weggefährte Luthers – reiste nach Dänemark, um die Reformation durchzuführen. Wie wird diese vollzogen? Man wechselt die Führung aus. Das heisst: Die katholischen Bischöfe mussten ins Gefängnis und neue lutherische Bischöfe wurden eingesetzt. Zudem erhielt man ein neues Kirchengesetz.
1540 wurde ein lutherischer Bischof auf die Färöer geschickt, der bis 1557 auf der Inselgruppe tätig war. Danach wurden die Färöer eine Propstei. Diese gehörte zuerst zur norwegischen Diözese in Bergen. Ab dem frühen 17. Jahrhundert wechselte sie zur dänischen Diözese in Kopenhagen. Damals gab es 39 Kirchen und sieben Pfarrer, die auf den verschiedenen Inseln verteilt waren. Der Propst war der oberste Pfarrer, der an den Bischof in Kopenhagen rapportierte.

Die Färöer haben 18 Inseln, wovon 17 bewohnt sind – wie funktionierte das mit den Pfarrern?

Früher lebte die Bevölkerung viel weiter auseinander als heute. Die Pfarrer mussten also das Boot nehmen, reiten oder über die Berge wandern, um die Leute zu erreichen. Der Transport und das Reisen waren schwierig. Mit nur sieben Pfarrern war es unmöglich, dass in allen Kirchen jeden Sonntag ein Gottesdienst abgehalten werden konnte.
Deshalb erhielten wir ein System auf den Färöern, bei dem Laien für die Gottesdienste verantwortlich sind. Sie brauchten das Psalmbuch, die Bibel sowie gedruckte Ausgaben von Predigten, aus denen sie vorlasen. Auf diese Weise führten die Laien einen Gottesdienst durch und die Menschen konnten in die Kirche gehen. Heute noch wird das auf den Färöern so gehandhabt. Die Pfarrer auf ihrer Seite tauften, schlossen Ehen oder konfirmierten Jugendliche. Im späten 19. Jahrhundert gab es vor allem im Hinblick auf die Sprache eine Veränderung.

Die Kirche entwickelte sich also weiter?

Nicht nur die Kirche, der Charakter der Gesellschaft veränderte sich ebenfalls: Man begann ausserhalb der Färöer zu fischen, reiste länger und neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die Bevölkerungszahl wuchs ansehnlich; es gab eine Liberalisierung des Handels. Neue Kirchen wurden gebaut und es kamen neue Pfarrer. Zudem formierte sich eine Bewegung, die die färöische Sprache in der Schule und der Kirche einführen wollte.

Die Färinger sprechen doch Färöisch?

Früher wurde auf Dänisch gelehrt und die Kirchenbücher waren ebenfalls in dieser Sprache geschrieben. 1850 wurde die färöische Schriftsprache konstruiert. Es kam der politische Wunsch auf, dass Färöisch ebenfalls in Schulen und Kirchen institutionalisiert werden sollte. Der Kampf für diese Sprache prägte die Zeit nach 1900 bis zum Zweiten Weltkrieg. Daneben wuchs das Streben nach mehr Selbstständigkeit.

Das äusserte sich ebenfalls im kirchlichen Zusammenhang?

Ja, denn: 1963 wurde der Propst zum Weihbischof und ab 1990 hatte er schliesslich den Status eines Bischofs. Die Färöer waren keine Propstei mehr, sondern ein Bistum mit einer grösseren Administration, das zu Dänemark gehörte. Seit 2007 ist die evangelisch-lutherische Volkskirche auf den Färöern vollständig von Dänemark unabhängig.

Das heisst?

Wir haben einen Bischof und eine dazugehörige Verwaltung. Zudem gibt es keine finanzielle Unterstützung mehr aus Dänemark.

Sie selber haben das als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Volkskirche hautnah miterlebt und waren über 30 Jahre in diesem Amt – woran erinnern Sie sich gerne zurück?

Ich war für sechs Kirchen zuständig. Die Inseln Skúvoy und Stóra Dímun umfassten ebenso mein Aufgabengebiet. Stóra Dímun liegt abgeschottet im Nordatlantik und ist vor allem mit dem Helikopter erreichbar. Ich war ein paar Mal als Pfarrer dort, habe einige der Kinder getauft und ein Paar verheiratet. Für mich war das einfacher als für meine Vorgänger, denn ich flog mit dem Helikopter auf Stóra Dímun. Früher gelangte man nur mit dem Ruderboot dorthin. 1874 verunglückte sogar ein Pfarrer auf der Insel, als er einen Gottesdienst abhalten sollte, – er stürzte die Klippen hinunter. Auf Skúvoy versuchte ich mindestens sechsmal jährlich zu reisen. Einmal blieb ich drei Tage, weil das Wetter so schlecht war und ich nicht mehr zurückreisen konnte.

Manche Inseln sind nicht einfach zu erreichen. Was ist, wenn ein Mensch an einem eher abgelegenen Ort stirbt?

Nicht immer können die Pfarrer bei Beerdigungen anwesend sein. Kann der Pfarrer nicht kommen, singt die Bevölkerung Lieder in der Kirche. Der Sarg wird zwar in das Grab niedergelassen und gedeckt, aber mit der rituellen Segnung der Leiche muss gewartet werden, bis der Pfarrer kommen kann. Das führt dazu, dass zwei Daten in den Kirchenbüchern stehen: Ein Datum für den Tag, als die Person gestorben ist und eines, das zeigt, wann der Pfarrer anwesend war.

Auf den Färöern haben nicht nur die Laien eine grosse Bedeutung für die Kirche, sondern die Medien ebenso...

…Gottesdienste werden im Radio und Fernsehen gesendet. Das Radio kam 1957, kurze Zeit später wurden die Gottesdienste bereits übertragen – einfach noch nicht direkt. Seit 1985 werden die Gottesdienste live gesendet. Doch das machte sich bemerkbar: Die Menschen kamen teilweise nicht mehr in die Kirchen, weil sie die Gottesdienste lieber zu Hause am Radio hörten. Im Fernsehen wer-den nicht nur Gottesdienste der Volkskirche übertragen. Die TV-Gottesdienste sind mehr ökumenisch: So werden Aktivitäten von anderen Kirchen und religiösen Versammlungen gezeigt.

Sie sprechen andere Glaubensgemeinschaften an – wie sieht es damit auf den Färöern aus?

Sie kamen erst mit der Einführung der Religionsfreiheit 1849. Bei der katholischen Kirche missglückte die Mission das erste Mal. In den 1930er-Jahren versuchten es die Katholiken noch einmal: Sie kamen mit Nonnen zurück und bauten Kindergärten und Schulen auf. Die katholische Gemeinschaft hat jedoch nicht viele Mitglieder. Oft sind es Menschen, die aus dem Ausland auf die Färöer gezogen sind – zum Beispiel aus Polen, Rumänien oder den Philippinen.
Die grösste Freikirche heisst «Plymouth Brethren» und hat ihren Ursprung in Grossbritannien. Die Mitglieder organisieren sich in kleinen Versammlungen und haben keine Pfarrer, sondern einen Ältestenrat, der die eigene Wirtschaft steuert. Die Freikirche finanziert sich zu einem grossen Teil über den «Zehnten». Die Pfingstbewegung hat ebenfalls eine stattliche Anzahl Mitglieder. Auf den Färöern gibt es mittlerweile viele verschiedene und neue Freikirchen.

Arbeitet die Volkskirche mit den anderen Kirchen zusammen?

Die «Plymouth Brethren» wollen zum Beispiel nicht mit uns zusammenarbeiten, weil sie unsere Kindertaufe nicht akzeptieren. Die evangelisch-lutherische Volkskirche und die meisten anderen Kirchen auf den Färöern halten einmal jährlich gemeinsam einen Gottesdienst. Zudem gibt es eine Bibelgesellschaft, bei der die anderen Kirchen mit dabei sind, zusammen wird an einer ökumenischen Bibel gearbeitet.

Das Heidentum ist ja mit der Christianisierung verschwunden – gibt es dennoch Wikinger-Traditionen auf den Färöern?

Von den Wikingern haben wir unsere Sprache, die Namen der Wochentage oder Ortsnamen. Es gibt Kirchen, die nach diesen Orten benannt sind. Die Tradition, den Nationaltag Ólavsøka am 29. Juli zu feiern, reicht sehr lange zurück. Der Name kommt vom norwegischen König Olav Haraldsson dem Heiligen. Wir wissen, dass sich früher die Pfarrer an diesem Tag getroffen haben, um Versammlungen abzuhalten. Allerdings glaube ich nicht, dass auf den Färöern noch Wikinger-Traditionen existieren, die es vor der Christianisierung gegeben hat.

Interview: Fabienne Wüthrich, freie Journalistin


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