«Ist Gott eine Frau oder ein Mann?»

 

Familien berichten, wie sie mit ihrem Kindern über Religion sprechen, welche Rituale sie pflegen und wo sie an Grenzen stossen.

Interviews und Redaktion: Anouk Hiedl
Fotos: Pia Neuenschwander

Gott mit Frage- und Ausrufezeichen suchen

Gibt es Gott? Ist Gott eine Frau oder ein Mann? Wie kann er überall sein und wie in meinem Herzen? Kann ich Gott vielleicht einmal sehen oder hören? Das sind Fragen, die meine Kinder beschäftigen. Die meisten Gespräche dazu ergeben sich spontan, häufig bei gemeinsamen Mahlzeiten. Oft diskutieren die Kinder ihre Meinungen miteinander und wollen von mir wissen, wie ich das sehe.

Abends singe ich mit jedem Kind vor dem Schlafen ein Lied, und wir beten zusammen. Auch da entstehen Gespräche. Ab und zu lese ich den Kindern biblische Geschichten vor. Bei Unklarheiten fragen sie sofort nach, und wir haben Gesprächsstoff. Jedes der Kinder macht sich sein inneres Bild von Gott und davon, wie er ist. Manchmal wird heftig diskutiert.

Ich ermutige sie regelmässig, selbst mit Gott zu sprechen und so vielleicht Antworten zu finden. Mir ist es wichtig, ihnen zu erzählen, wie ich Gott in meinem Leben erlebe und wie ich empfinde. Dabei zeige ich immer wieder auf, dass dies ganz persönliche Fragen sind und dass sie auch eine andere Meinung haben dürfen.

Eva Maria Lagger (37) aus Bern, Mutter von Elias (7), Léanne (7) und Ilai (5)

In guten Beziehungen geborgen

Ich bin katholisch erzogen worden und seit langem aus der Kirche ausgetreten. Meine Frau und ich sind nicht gläubig. Gemeinschaftliches Leben in der Familie, mit Freunden oder im Beruf ist uns sehr wichtig. Diese Beziehungen tragen uns, geben uns Geborgenheit und sind religiösen Gemeinschaften ähnlich. Übergänge im Leben feiern und gestalten wir gebührend und rituell mit Familie und Freunden, so etwa unsere Hochzeit oder die Taufe unserer Söhne.

Im Alltag pflegen wir regelmässige Rituale: Geschichten erzählen, der gemeinsame Tagesrückblick beim zu Bett gehen oder wenn wir einander zwischendurch sagen, dass wir uns gernhaben. Dazu fragte Emil letzthin: «Papa, ist einander gernhaben cool?»

Emil hat bisher keine Todesfälle im engen Familienkreis miterlebt. Dennoch setzt er sich immer wieder mit dem Sterben auseinander. Vor allem findet er es «total ungerecht», dass Tiere getötet werden. Deshalb weigert er sich, Fleisch zu essen. Auch Bauer will er nicht mehr werden, «weil die ihre Kühe zum Metzger bringen».

Um Ostern fragte Emil nach dem Spielen mit anderen Kindern, wer Gott und Jesus seien. Wenn wir Kirchen besichtigen, will er viel zu Skulpturen, Gemälden und Kreuzwegstationen wissen. Dabei versuchen wir ohne Wertung zu antworten, die Abbildungen objektiv zu beschreiben, aber auch die uns wichtigen christliche Werte wie z. B. Nächstenliebe einzubeziehen.

Stefan Borter (38) aus Blatten, Vater von Emil (5) und Maurus (2)

Kinder als Spiegel

Der Grossvater meiner Gottenkinder ist kürzlich gestorben: Wohin gehen Menschen, wenn sie sterben? Sterben Tiere auch? Und Bäume? Und Häuser? Gotti, bist Du auch schon alt? Wirst Du auch bald sterben? Meine Patenkinder haben keine «religiösen» Fragen, sondern einfach solche zum Leben und zum Sterben.

Oft kommen wir über Kinderbücher darüber ins Gespräch. Im Moment ist der Bernhardiner «Barry» hoch im Kurs. Dass er sich von seinen Verletzungen nicht erholt, nach Bern geschickt wird, wo es gute Tierärzte gibt, dann aber trotzdem stirbt – das bringt mich beim Erzählen immer etwas in Not.

Die Kinderstimmen werden etwas zittrig, wenn sie sich vergewissern, dass es Barry aber am Schluss schon gut gegangen sei. Manchmal bin ich geneigt, ein anderes Ende zu erfinden, das mit einem gesunden Barry endet. Aber schummeln geht nicht – sie kennen das Büchlein in- und auswendig. Antworten überlege ich mir nicht bewusst. Ich versuche einfach, ihren Lebensfragen ehrlich zu begegnen, wenn sie auftauchen.

Ich lebe ein anderes Leben als die Familie meiner Patenkinder und hoffe, ihnen durch meine Art und Weise zu sein etwas mitzugeben. Ich spreche manchmal auf Arabisch mit ihnen, weil ich eine Zeit lang im Nahen Osten gelebt habe, und erzähle ihnen, wie die Menschen dort leben. Es kommt vor, dass sie dadurch neugierig werden und Fragen zu Krieg und Frieden stellen. Eines Tages werde ich mit ihnen eine Reise in diese andere Welt machen, wenn sie das möchten.

Die Begegnungen mit meinen Gottenkindern sind auch immer Begegnungen mit mir selbst: Wie mich Kinderaugen sehen, überrascht und belustigt mich manchmal. Gotti, warum hast Du graue Haare, und warum lachst Du immer so laut?

Sibylle Stamm (43) aus Bern, Gotte von Milan und Henryk (4½)

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