Wie feiern Kinder aus Kriegsgebieten in Bern Weihnachten? Eine «pfarrblatt»-Reportage aus der Flüchtlingsunterkunft auf dem Viererfeld in Bern.
von Sophie Schudel / Fotos: Pia Neuenschwander
Es ist durchdringend kalt und sehr grau an diesem Dezembermorgen. Schneereste liegen auf Trottoirs und in Gärten. Der Nebel hängt tief über der Stadt. Man möchte lieber drinnen sein als draussen.
Nebel hängt auch über den fünf schmucklosen grossen Zelten der Containersiedlung im Berner Viererfeld. Seit Juli 2022 finden Geflüchtete mit Schutzstatus S in der Temporären Unterkunft (TUV) einen Ankunftsort. Die meisten von ihnen kommen aus der Ukraine.
Rings um die Siedlung führt ein Zaun. Von der Stadt her kommend sieht man erst einmal wenig Leben. Dann hört man Kinder rufen. Gleich beim Eingang zur Siedlung steht die Schule, und es ist gerade Pause. Die Kinder auf dem Platz vor der Schulbaracke scheint die Kälte nicht zu stören.
Kommen und gehen
In der Schule ist es warm und hell. Im Gang begrüssen einen gezeichnete Selbstporträts, muntere Karton-Engelchen mit flauschigen Flügeln und Kinderbilder über die Ukraine mit viel Gelb und Blau darauf. Die Pause ist zu Ende, die Kinder und Jugendlichen finden sich wieder in ihren Klassenzimmern ein. Höchstens zwölf Kinder lernen gemeinsam mit einer Lehrkraft und einer Assistenz. Von diesen Betreuungspersonen ist die eine jeweils deutscher Muttersprache, die andere spricht russisch und ukrainisch. So werden Brücken gebaut.
In den Willkommensklassen im TUV lernen die Kinder hauptsächlich Deutsch, damit sie so bald wie möglich den Sprung in eine Regelklasse in Angriff nehmen können. Die Lernatmosphäre an diesem Morgen ist konzentriert und lebendig. Kinder basteln, singen, rechnen und schreiben, Jugendliche recherchieren an den Laptops. «Die Schule gefällt mir», meint ein Jugendlicher. «Ich hoffe, mein Deutsch wird bald besser. Der Schulstoff ist etwas einfach, und ich will eine gute Ausbildung machen.»
Fast wöchentlich nimmt die Schule neue Kinder auf. Andere ziehen weiter. Gegen Mittag verzieht sich der Nebel in die Höhe, es wird lichter. Es ist immer noch sehr kalt. Die Mittagszeit verbringen die Kinder draussen oder bei ihren Angehörigen. Die Schule dauert den halben Tag. Der Tag ist noch lang. Der Aussenraum ist wenig gestaltet. Es gibt Fahrräder und eine Art grosses Festzelt. Mehrere kleine, abgetrennte Boxen sind darin eingerichtet worden, in denen je ein kleiner elektrischer Heizkörper steht. Auch Teppiche, Tische und Sofas hat es da.
Jugendlicher Austausch
In zwei dieser Räume ist eine Gruppe Jugendlicher aus der Mosaikschule Munzinger am Einrichten. Die ersten Kinder kommen bald neugierig schauen, was passiert. An drei Nachmittagen bieten die Berner Jugendlichen den geflüchteten Kindern ein kreatives Programm an. Die acht Jugendlichen haben diese Idee im Rahmen einer Projektwoche selbstständig entwickelt. Sie haben Geld gesammelt, Material gekauft und sind jetzt da, um Guetzli zu backen, Schüttelgläser zu gestalten und die Kinder mit einer Schatzsuche und Geschenken zu überraschen.
Am Boden wird ein Berg Lego ausgeschüttet, in einer Ecke können sich die Kinder frisieren lassen. Bald drängen sich auch die ukrainischen Jugendlichen in die Bastelräume. Die jüngeren Kinder sind am zweiten Tag schon sehr zutraulich und suchen die Nähe der Berner Jugendlichen. Augen leuchten. Weil die sprachlichen Mittel fehlen, verständigt man sich mit Pantomime. Es wird gelacht.
An Weihnachten wolle sie mit ihren Freundinnen aus der Siedlung in der Stadt spazieren gehen und schauen, wie hier gefeiert werde, meint die 14-jährige Nastja. Sie habe in der Siedlung neue Freundinnen gefunden, aber sie wünsche sich trotzdem, in eine Wohnung umzuziehen. Die Freundinnen nicken.
Die Schüttelgläser sind bald fertig: Um kleine Plastikfiguren wirbeln Schneestürme aus Glitzer. Mit der Zeit ist Glitzer überall: auf Kleidern, Gesichtern und Händen. Alissa hat sich die Handflächen ganz mit buntem Glitzer beklebt. Dann verschwindet sie kurz, um wenig später wieder aufzutauchen. «Ich war kurz zu Hause, um meine Hände zu waschen», teilt sie strahlend mit, «und was machen wir jetzt?»