«Auch die Christkatholik:innen haben sich als Katholik:innen verstanden», sagt Angela Berlis. Foto: Pia Neuenschwander

Als Berner:innen die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnten 

150 Jahre christkatholische Kirche  

Vor 150 Jahren weigerten sich Katholik:innen, das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes zu akzeptieren. So kam es zur Formierung der Christkatholischen* Kirche. Angela Berlis, Professorin für Geschichte des Altkatholizismus* an der Uni Bern, erklärt, wie es dazu kam.    

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Was führte vor 150 Jahren dazu, dass viele römisch-katholische Berner:innen  christkatholisch wurden? 

Angela Berlis: Das hing mit der Rezeption des Ersten Vatikanischen Konzils** zusammen. Hier wurden die Unfehlbarkeit des Papstes und sein Rechtsprimat zur Glaubenslehre erhoben. Viele Katholik:innen, auch in der Schweiz und in Bern, konnten diese Dogmen nicht mittragen.   

Was ist der Rechtsprimat des Papstes? 

Beim Rechtsprimat geht es unter anderem darum, dass der Papst das Recht hat, Bischöfe zu ernennen. Erst aufgrund dieses Primats konnte die römisch-katholische Kirche so zentralisiert werden, wie sich das im Kirchengesetzbuch von 1917 und heute im CIC 1983 spiegelt. Der Rechtsprimat ist das folgenreichere Dogma. Im 19. Jahrhundert ging es jedoch vor allem um die Unfehlbarkeit des Papstes.  

Vor dem Ersten Vatikanischen Konzil wurden Bischöfe also nicht durch den Papst ernannt? 

Richtig, die Schweiz kennt ja noch immer die Tradition, dass der Bischof von Basel beispielsweise durch das Domkapitel gewählt und vom Papst bestätigt wird.  In der frühen Kirche war es so, dass das Volk und die Geistlichkeit einer Ortskirche den Bischof gewählt haben.  

War das überall so? 

Vor dem Ersten Vatikanum wurde die Mehrheit der Diözesanbischöfe auf irgendeine Weise gewählt. Der Papst hatte allerdings das Recht, diese Wahl zu bestätigen. Nach dem Vatikanum wurde das System umgedreht und werden Diözesanbischöfe durch den Papst ernannt, mit einigen Ausnahmen wie in Basel oder Köln.  

Wie reagierten Schweizer Katholik:innen auf die Dogmen des Konzils? 

Für die Schweiz war der angesehene Münchner Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger wichtig, der unter Pseudonym schon während des Konzils dargelegt hatte, dass die Unfehlbarkeit des Papstes weder von der Bibel noch von der Tradition her begründet werden könne. Dafür wurde er im April 1871 exkommuniziert. Das schlug auch in der Schweiz hohe Wellen. Johann Baptist Egli, Strafhauspfarrer in Luzern, war bereits im März 1871 als erster Priester in der Schweiz exkommuniziert worden.  

Gibt es so etwas wie einen Startschuss für die Trennung der alt- oder christkatholischen von der römisch-katholischen Kirche? 

Es war in der Schweiz ein längerer Prozess zwischen 1870 und 1876, der zur kirchlichen Eigenexistenz führte. Im September 1871 gab es einen «Katholikenkongress» in München, zu dem auch Schweizer:innen delegiert wurden, und der einige Positionen programmatisch festhielt. Die Altkatholik:innen begründeten ihre Ablehnung der Unfehlbarkeit des Papstes mit dem Gewissen:  Im Bewusstsein der religiösen Pflichten könne man das aus dem Gewissen heraus nicht mittragen. Heute würde man das «sensus fidelium» nennen (lat. für «Glaubenssinn der Gläubigen»).  

Ging es nur um das Dogma der Unfehlbarkeit oder waren weitere Reformen Thema? 

Das Verhältnis von Geistlichen und Laien - damals bezog sich das faktisch auf die Männer - war ein wichtiges Thema. Laien sollten auch religiös Mitverantwortung tragen, zum Beispiel bei Synoden und bei der Wahl des Bischofs. Ausserdem wollte man die vielen Feiertage  zugunsten einer stärkeren Zentrierung auf Christus reduzieren. Viele dieser Reformen, wie etwa die Volkssprache oder die Christusbezogenheit, wurden von der römisch-katholischen Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil ebenfalls aufgegriffen.  

Was wurde dennoch beibehalten? 

Die christkatholische Bewegung verstand sich als katholisch, man wollte reformieren, nicht einfach abschaffen. Man hielt am dreifachen Amt von Diakon, Priester, Bischof fest, befürwortete synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. Was den Dienst des Bischofs von Rom angeht, so bejahte man ihn wie in der alten Kirche, sofern der Papst ihn als  «der Erste unter Gleichen» ausüben würde.   

Wie kam es zu den beiden Namen altkatholisch und christkatholisch? 

«Altkatholisch» ist der ältere Begriff, er betont das, was die alte katholische Kirche glaubte. «Christkatholisch» war damals ein viel verwendetes Wort für «katholisch». Den Schweizer:innen war der Bezug zu Christus als Haupt der Kirche wichtig.  

Am 9. Dezember 1872 hielt der deutsche Theologieprofessor Josef Hubert Reinkens eine Rede in der Heiliggeistkirche in Bern. Wer war das?   

In der Schweiz hatten manche den Eindruck, es fehle der christkatholischen Bewegung an der religiösen Dimension. Reinkens wurde eingeladen, um der keimenden Bewegung in der Schweiz «die religiöse Direktive» zu geben. Er war Professor für Alte Kirchengeschichte in Breslau, hatte sich schon früh gegen das gegen die neuen Papstlehren ausgesprochen und wurde bald zu einer führenden Gestalt.

Am 1. Dezember 1872 referierte er in Olten, acht Tage später in Bern. In der Geschichte der Christkatholischen Kirche der Schweiz wurde der 1. Dezember viele Jahrzehnte lang als «Oltener Tag» festlich begangen.  Heute wird weniger dieses Ereignis, als stärker der Prozess betont, in dem die kirchliche Eigenexistenz sich formierte. 

Wie war es in Bern? 

In Bern war die Mehrheit der Katholik:innen nicht bereit, die Unfehlbarkeit und den Rechtsprimat des Papstes zu bejahen.   

Deshalb wurde auch die Kirche Peter und Paul eine christkatholische.  

Diese Kirche war erst 1864 fertig gestellt worden. Der römisch-katholische Pfarrer musste den Schlüssel abgeben und andere Orte für die Gottesdienste suchen. Für die mit Rom loyalen Katholik:innen war das sehr schmerzhaft, denn durch die Kirche Peter und Paul waren die Katholik:innen erstmals seit der Reformation wieder mit einer eigenen Kirche in Bern sichtbar. Bis die Dreifaltigkeitsbasilika gebaut wurde, dauerte es nochmals gut zwanzig Jahre.  

Hätte man die Kirche Peter und Paul nicht gemeinsam nutzen können? 

Nein, denn der Papst hatte eine Bulle erlassen, die die gemeinsame Nutzung von Kirchen untersagte. Noch 2009, als ich nach Bern kam, sagte mir ein Mann: «Ihr habt ja unsere Kirche übernommen.» Diese Wahrnehmung weckt mein Interesse. Denn auch die Christkatholik:innen haben sich als Katholik:innen verstanden. Sie hatten sich ja nicht verändert.  

* In der Schweiz sagt man christ-, in Deutschland altkatholische Kirche.  

 

Erstes Vatikanisches Konzil 
Das Erste Vatikanische Konzil fand von 1869-1870 in Rom statt. Als wichtige Ergebnisse gelten die Lehren über den päpstlichen Rechtsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes. Mit Rechtsprimat ist die Vollmacht gemeint, verbindliche Regeln für die römisch-katholische Kirche aufzustellen. Die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes wurde zum Dogma erhoben. Dieses Dogma gilt für endgültige Entscheidungen des Papstes in der Glaubens- und Sittenlehre, nicht jedoch für sämtliche Äusserungen des Papstes.  

Hinweis

Die Initiative zu diesen Veranstaltungen ging von der römisch-katholischen Gesamtkirchgemeinde und der christkatholischen Gemeinde Bern aus.  
 

Lesen Sie auch den 2. Teil des Interviews, in dem Angela Berlis Parallelen zu heute aufzeigt.

 

 

 

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