Weltjugendtag 2022 in St. Gallen: einer der Begegnungsräume, in dem sich christliche Traditionen mit dem Leben verbinden.
Foto: weltjugendtag.ch

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Judith Furrer, Leiterin der Fachstelle Religionspädagogik

Religiöse Bildung ist in unserer Zeit komplex geworden. Gedankenanstösse dazu, wie sie trotzdem gelingen kann.

Von Judith Furrer, Leiterin der Fachstelle Religionspädagogik, Bern

Bei der Fachstelle Religionspädagogik klingelt das Telefon: Eine Katechetin möchte Beratung für ihre Situation. Sie übernimmt nach den Sommerferien neu die vierte Klasse. Sie erzählt, dass sich für den Unterricht nur noch ein Viertel der Kinder auf der Klassenliste angemeldet hätten. Die Erstkommunion sei ja nun gefeiert, habe ihr eine Mutter die Abmeldung begründet.
Wenig später ruft ein Gemeindeleiter an. Er findet keine Nachfolge für die Katechetin, die nach den Sommerferien in Pension geht. Fünf Klassen und die Vorbereitung zur Firmung müssten neu organisiert werden. Er bittet die Fachstelle um Unterstützung.

Zwei Tage später in einem Ausbildungskurs zum/zur Katechet:in: Die Kursgruppe hat als Hausaufgabe Eltern zu ihren Erwartungen an den Religionsunterricht ihrer Kinder befragt. Die Teilnehmenden tragen zusammen und sind ratlos. Zu weit liegen die verschiedenen Sichtweisen und Bedürfnisse auseinander, als dass ihnen gleichzeitig Rechnung getragen werden könnte. Am Rande erzählt eine Kursteilnehmerin von einer Lektion in einer sechsten Klasse. Keines von zwölf Kindern hätte beantworten können, was wir an Pfingsten feiern…

Die Zeiten ändern sich

Diese drei Einblicke in den Alltag der Fachstelle Religionspädagogik machen deutlich, wie komplex die Frage der religiösen Bildung in unserer Zeit geworden ist. War es früher für die meisten katholischen Familien selbstverständlich, dass ihre Kinder den Religionsunterricht besuchen, stehen wir heute ganz anderen Realitäten gegenüber. Gerade im Kanton Bern, wo der Religionsunterricht ausserhalb des Stundenplanes der Schule stattfindet, steht das kirchliche Angebot in Konkurrenz zu Hobbies und anderen Freizeitaktivitäten. Die Teilnahme wird bewusst gewählt oder eben nicht.

Auch die zu lernenden Inhalte waren früher in den Katechismen klar definiert. Welchen Umgang mit Unterrichtsstoff sollen katechetisch Tätige heute pflegen, wenn nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Kinder den Religionsunterricht kontinuierlich besuchen?

Ganz neu sind diese Entwicklungen und Fragen nicht. Auch viele Erwachsene fühlen sich in religiösen Themen wenig beheimatet uns brauchen gerade in der Begleitung ihrer eigenen Kinder ebenfalls religiöse Bildung. Als Kirche sind wir darum auch zunehmend gefordert, Erwachsene in ihrer religiösen Entwicklung zu begleiten.

Katechese im Kulturwandel

Schon 2009 haben die Deutschschweizer Bischöfe mit dem Leitbild «Katechese im Kulturwandel» auf die Herausforderungen in der kirchlich-religiösen Bildung reagiert. Darin wird Katechese als lebenslanger Prozess des Glaubenlernens beschrieben, der nicht von anderen kirchlichen Vollzügen getrennt und gedacht werden kann.

Menschen sollen gegenseitig von ihren Erfahrungen und Ansichten lernen. Das passiert auch, aber nicht mehr nur im Religionsunterricht. Der 2018 erschienene «Lehrplan für den Religionsunterricht und die Katechese der katholischen Kirche in der Deutschschweiz» klärt ergänzend auch die Frage der Inhalte. Kirchliche-religiöse Bildung soll darauf ausgerichtet sein, Menschen Kompetenzen in wichtigen religiösen und kirchlichen Vollzügen zu vermitteln: Menschen sollen sich gegenüber religiösen Fragen positionieren können, sie sollen von ihren religiösen Überzeugungen sprechen können und ihre religiösen Werte kennen. Sie sollen aber auch kirchliches Leben mitgestalten, feiern und beten können. Das alles ist mehr als Wissen.

Neue Wege suchen

Wenn kirchlich-religiöse Bildung aber mehr ist als Wissensvermittlung und Katechese mehr als Religionsunterricht, dann sind wir als Kirche gefordert, neue Wege zu suchen und neue Formen gemeinsamen Lernens auszuprobieren. Dazu sehen die Deutschschweizer Bischöfe Partizipation und Adressatenorientierung als wichtige Qualitätsmerkmale.

Verschiedene Pfarreien haben sich auf den Weg gemacht, neue Formen mit den Menschen vor Ort auszuprobieren (lesen Sie dazu: «Wir orientieren uns an der Lebenswelt der Jugendlichen», Zuerst der Mensch, dann die Kirche). Kirche wird so gemeinsam immer wieder neu. Es entstehen neue und vielfältige Angebote, bei denen Menschen sich begegnen und sich mit religiösen Fragen und Themen auseinandersetzen. Wenn das gelingt, dann sind die neuen Wege und Formen auch nicht bloss «neue Schläuche für den alten Wein», sondern es entstehen Begegnungsräume, wo Menschen die alten christlichen Traditionen und Geschichten mit ihrem Leben verbinden können. So dass Religion und Glaube in ihnen neu entstehen.

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