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Anders als gedacht

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

«Seelsorge, nein danke», winkt der Patient ab. «Weder habe ich etwas mit der Kirche am Hut, noch kann ich mit der Bibel etwas anfangen, und wie sollte ich in Anbetracht der aktuellen Weltlage an einen Gott glauben», erläutert er. Und doppelt nach: «Auch Sie haben keine Antworten. Ein Seelsorgegespräch ist sinnlos.»

Ich stimme zu. Antworten habe ich keine und ein Gespräch wäre demnach sinnlos. Sinnlos aber erscheint es mir nicht, ihn zu fragen, wie es ihm gehe.

Der Patient sitzt aufrecht am Bettrand, so als wolle er mir an die Gurgel springen. «Von mir aus dürfen Sie sich hinlegen», ermuntere ich ihn, «machen sie es sich so bequem wie möglich.» Mühsam legt sich der Patient hin und fährt unvermittelt fort. «Und dieser Pu …» Sofort falle ich ihm ins Wort, um dieser Diskussion zu entgehen. «Ich konsumiere nur wenig und gezielt von all den Kriegsnachrichten und bemühe mich, im kleinen Rahmen Frieden zu schaffen, jeden Tag wieder neu», bringe ich mich stammelnd ein. Er mache es ebenso, erwidert er.

Stille.

Dann beginnt er zu erzählen: «Es geht mir langsam, langsam besser. Aber ich bin verunsichert, welche Baustelle ich zuerst angehen will. Ich bin nicht mehr bereit, unnötige Operationen über mich ergehen zu lassen. Dazu bin ich zu alt. Und übrigens wollte ich gar nicht ins Spital kommen. Aber die Angehörigen haben Druck gemacht. Die Atemnot war zu gross.»

«Wie geht es Ihrer Frau», frage ich. Er zögert, kommt schliesslich erneut ins Erzählen. «Sie ist sehr vergesslich geworden und kommt alleine nicht mehr gut zurecht. Gott sei Dank wohnt die Jungmannschaft in der Nähe. Aber ich fürchte die Nächte, weil ich von Albträumen geplagt werde. Meistens suche ich meine Frau, oder ich muss ihr zu Hilfe eilen. Und so geschah es dann auch, dass ich mich im Halbschlaf erhob und alle Kabel rausgerissen habe.»

Ich spüre leiblich die grosse Last, die der Mann trägt und vermutlich schon lange getragen hat.

Allmählich wird der Patient ruhig und ruhiger. Und während wir verweilen, wird unverhofft die Nachricht ans Bett gebracht, dass eine Verlegung auf die Pflegeabteilung geplant ist, weil die medizinische Hilfe ausgeschöpft sei.

Das ist eine Hammernachricht. Wie weiter? Wir wissen es beide nicht. Schier endloses Schweigen.

«Ich leiste jetzt keinen Widerstand mehr», sagt der Patient plötzlich. «Der hat mir schliesslich auch nichts gebracht. Besser ist, ich lasse mich führen. Ob ich zu Hause sterbe oder in einer Institution, das ist einerlei. Ich habe keine Angst.» Ruhig und gelassen meint er: «Es kommt gut, wenn ich mich reingebe in das, was ist.»

Barbara Moser, ref. Pfarrerin 

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