Der Architekt und Stadtplaner Hans Wirz (82) befindet sich seit Jahren auf der Suche nach Bauten mit spiritueller Ausstrahlung. Seine Erkenntnisse hat er im 40-seitigen Buch «Die spirituelle Dimension in Architektur und Städtebau» festgehalten, das junge Architekt:innen und Stadtplaner:innen für das Thema sensibilisieren soll.
Interview: Luca D’Alessandro
«pfarrblatt»: Wie definieren Sie Spiritualität?
Hans Wirz: Im philosophisch-religiösen Sinne ist Spiritualität für mich eine Pforte zur Unendlichkeit. Sie hat mit Transzendenz und Ewigkeit zu tun. In meiner Arbeit als Architekt habe ich Spiritualität auf unsere alltägliche, gebaute Umwelt heruntergebrochen. Religiöse Bauten bilden den Ausgangspunkt.
Warum haben Sie ein Buch über Spirituelles in Architektur und Städtebau geschrieben?
Ich wollte aufzeigen, dass auch in Zweckbauten eine gewisse spirituelle Dimension vorhanden ist oder «eingebaut » sein müsste. Wir können uns nicht zweiteilen, im Sinne von sonntags gehe ich in die Kirche und werktags lebe und arbeite ich in nüchternen Räumen. Wir dürfen durchaus anspruchsvoller sein. Je nach Ort ist es auch heute nicht abwegig, profane Bauten mit spirituellen Symbolen auszustatten. Statuen, Hausaltare oder Räume der Stille habe ich im Zuge meiner Recherchen in den unterschiedlichsten Gebäuden angetroffen.
In Ihrem Buch geht es aber nicht ausschliesslich um religiöse Symbolik.
Nein. Mir geht es um Spiritualität im weiten Sinne. Es ist eine Aufforderung an Architekt:innen, nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen. Das Qualitative geht über die Raumästhetik hinaus. Mir geht es um den tieferen Sinn.
Was meinen Sie damit?
Ich erlaube mir eine Gegenfrage: Warum bauen wir eigentlich? Die Antwort ist klar, wir benötigen eine schöne Unterkunft, funktionale Arbeits-, Bildungs-, Dienstleistungs- oder Verwaltungsgebäude. Das Ganze darf aber einen Schritt weitergehen: ein Bau soll ein Heimatgefühl hervorrufen, Geborgenheit geben, Vertrauen erwecken. Wie beispielsweise das neu aufgebaute Berner Maison Capitol, in dessen Innenhof wir dieses Gespräch führen. Neubauten wie die Europaallee in Zürich erfüllen zwar sämtliche funktionalen Kriterien – allerdings vermisse ich da den menschlichen Massstab.
Haben Sie schon einmal an einem Sakralbau mitgewirkt?
In den 1960er-Jahren war ich am Neubau der Kirche Notre-Dame de Royan in der gleichnamigen westfranzösischen Stadt beteiligt. Ausserdem verfolge ich mit grossem Interesse Projekte von Architekt:innen, die heute in diesem Bereich intensiv tätig sind, etwa Mario Botta oder Peter Zumthor.
Die 1970 erweiterte Maslowsche Bedürfnispyramide unterteilt menschliche Bedürfnisse in sechs Stufen. Anhand dieser Pyramide weisen Sie in Ihrem Buch auf den marginalen Stellenwert von Transzendenz bei der modernen Gebäudeplanung hin.
Bei funktionalen Bauten trifft dies oft zu. Anders ist dies bei sakralen Bauten wie Kirchen, Abdankungshallen oder Pilgerorten: Hier fangen Planer:innen und Gestalter: innen ein, was über das Materielle hinausgeht. Es würde mich freuen, wenn sich diese Sensibilität auch in der gängigen Architektur niederschlägt.
Buchtipp
Hans Wirz: Die spirituelle Dimension in Architektur und Städtebau, Chamaeleon Verlag, Basel, 2022.