Musliminnen müssen ihr Gesicht in der Öffentlichkeit künftig zeigen. Ausschnitt aus einem Abstimmungsplakat. Foto: Sylvia Stam

Berner Imame zur Annahme des Verhüllungsverbots

Mustafa Memeti aus Bern und Azir Aziri aus Thun nehmen Stellung.

Das Verhüllungsverbot ist mit 51,2 Prozent Ja- zu 48,8 Prozent Nein-Stimmen angenommen worden. Zwei Berner Imame sind sich einig, dass es nun erst recht wichtig ist, dass Muslim*innen sich in der Schweizer Öffentlichkeit einbringen.

Von Sylvia Stam

Es gebe keine Verlierer*innen oder Gewinner*innen, «ausser unsere besondere direkte Demokratie: Sie ist heute die einzige Gewinnerin», sagt Mustafa Memeti, Imam und Leiter des im Haus der Religionen ansässigen Muslimischen Vereins Bern, auf Anfrage des «pfarrblatt». Memeti hatte sich im Vorfeld der Initiative für ein Ja ausgesprochen. Entsprechend überrascht ihn das Resultat nicht: «Alle Prognosen und auch die Diskussionen in der Gesellschaft haben darauf hingedeutet», so Memeti. Das Ergebnis zeige, dass Muslim*innen sich «auf keinen Fall aus der Gesellschaft isolieren und in eine Parallelwelt schlittern dürfen», schreibt der Berner Imam.

«Authentischen Islam zeigen»

Für ein Nein hatte sich Azir Aziri, Imam der IKRE-Moschee in Thun, ausgesprochen. Auch er sieht im Resultat eine Aufforderung an die Muslim*innen, «uns umfänglich und konkreter in der Öffentlichkeit zu zeigen», und zwar einen «authentischen Islam, ohne jeglichen religionspolitischen Inhalt», so Aziri auf Anfrage des «pfarrblatt». Das bedeute, «dass wir uns öffentlich dazu bekennen und öffentlich dazu Stellung nehmen. Das ist vermutlich bis jetzt nicht gelungen», meint der Thuner Imam.

Er sieht im Resultat durchaus auch eine Aufforderung: «Wir nehmen den Ball auf und arbeiten daran, in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen zu werden.» Das Bestreben der Schweiz zur Religionsfreiheit und die Garantie der Verfassungsrechte für alle unterstütze seine Gemeinschaft ebenfalls: «Wir wollen Gerechtigkeit und den gegenseitigen Respekt in der Schweizer Bevölkerung aktiv unterstützen.»

Diskussion auf Augenhöhe

Enttäuscht zeigt sich die Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids). «Die Enttäuschung ist mit grosser Empörung vermischt», schreibt die Fids in einer Mitteilung. Empörung über eine Symbolpolitik, die sich gegen Muslim*innen richte. Diese seien ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft und erwarteten, als solcher behandelt zu werden. «Antimuslimischer Rassismus darf nicht mehr salonfähig gemacht werden und weitere diskriminierende Handlungen sind nicht zu akzeptieren.» Die Fids wünscht sich denn auch Diskussionen mit Muslim*innen auf Augenhöhe statt Debatten über ihre Köpfe hinweg. Nur so sei ein erfolgreiches Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit funktionsfähig.

Ein Nein aus Stadt und Kanton Bern

Sowohl Stadt wie Kanton Bern lehnten die Vorlage ab. Während in der Stadt 72,86 Prozent der Stimmbüger*innen nein und 27,14 Prozent ja sagten, waren es im Kanton Bern 50,4 Prozent Nein- gegenüber 49,6 Prozent Ja-Stimmen. Ein Verhüllungsverbot wurde dort, wo verschleierte Touristinnen am ehesten anzutreffen sind, ebenfalls abgelehnt: So stimmte die grösste Gemeinde im Verwaltungskreis Interlaken-Oberhasli mit 52,3 Prozent gegen die Vorlage, wie der «Bund» berichtet. Der gesamte Verwaltungskreis habe die Initiative allerdings mit einem Ja-Anteil von 51,9 Prozent angenommen.

Gemäss Zeitung war der Nein-Anteil in den anderen Bödeli-Gemeinden noch grösser: In Matten liege er bei 54,1 Prozent, in Unterseen bei 55,4 Prozent. Am deutlichsten abgelehnt wurde die Verhüllungsinitiative im Verwaltungskreis Interlaken-Oberhasli von Gsteigwiler mit 57,7 Prozent. Meiringen hingegen stimmte demnach der Verhüllungsinitiative mit 53,4 Prozent zu. Die Stimmbeteiligung für die nationale Vorlage lag bei 51,4 Prozent.

Islamischer Zentralrat will Bussen bezahlen

Die fundamentalistische Gruppierung «Islamischer Zentralrat Schweiz» (IZRS), die sich gegen die Vorlage engagiert hatte, hat bereits angekündigt, für die Bussen von Nikab-Trägerinnen aufzukommen. Der IZRS habe einen «Spendenpool zum Schutz der Religionsfreiheit» eröffnet, teilte der Verein am Sonntagnachmittag mit. An diesen könnten sich betroffene Musliminnen im Falle einer Busse wenden. Der Zentralrat will darüber hinaus mit Musterprozessen die Verfassungstauglichkeit der jeweiligen Ausführungsgesetze prüfen lassen.

Die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» war vom Egerkinger Komitee rund um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann lanciert worden. Sie verlangt, dass niemand in öffentlich zugänglichen Orten sein Gesicht verhüllen darf. Ausnahmen sind für sakrale Räume vorgesehen sowie aus Gründen der Sicherheit, der Gesundheit und des einheimischen Brauchtums wie der Fasnacht.

Hinweis: Von zwei ebenfalls angefragten Musliminnen hat das «pfarrblatt» leider keine Stellungnahme zum Abstimmungsresultat erhalten.

Hintergründe zum Verhüllungsverbot finden Sie in unserem Dossier.

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