Heinz Schmid ruft den Betruf von der Alp Guggenen. (gekürzt)

«Bhüet Gott Seele, Leib und Gut»

Der Betruf auf den Entlebucher Alpen

«Es gehört einfach dazu»: Bis heute erklingt auf den Entlebucher Alpen im Sommer jeweils der Betruf. Ein Besuch bei David Schnider in Sörenberg und Heinz Schmid in Flühli.

Von Sylvia Stam

«Das Schönste ist, dass das Vieh, das soeben noch gegessen und getrunken hatte, sofort ruhig wird», sagt David Schnider (36), Älpler auf der Alp Silwängen in Sörenberg. «Und dann die ‹Trichlen› dazu, das ist wirklich sehr stimmig», ergänzt Heinz Schmid (60), Älpler auf der Alp Guggenen in Flühli.  Die Rede ist vom Betruf, den die beiden während der Vieh-Sömmerung nach Feierabend, meistens beim Eindunkeln, von der Laube ihrer Alphütte aus rufen.

Gesungen oder gesprochen

Die Alp Silwängen liegt am Fusse der Schrattenfluh. Von der Alphütte aus fällt der Blick ins Tal auf Sörenberg. Von der Rothorn-Kette schallt David Schnider ein leises Echo entgegen, wenn er das Gebet (siehe Kasten) durch die Folle, so heisst der hölzerne Trichter, ruft. Es wird als Sprechgesang vorgetragen. Die Texte der beiden Entlebucher unterscheiden sich lediglich in Kleinigkeiten.

Heinz Schmids Stimme hört man an, dass er seit vielen Jahren jodelt. Die Alp Guggenen liegt auf einem Plateau, das von Schwändiliflue und Fürstein gesäumt wird. Auch von hier aus zeigt sich die eindrückliche Rothornkette.  Für den Betruf stellt sich Heinz Schmid in die Ecke seiner Laube, die an zwei Seiten der geräumigen Alphütte verläuft.

Gelernt hat Schmid den Betruf vom Knecht seines Lehrmeisters. «Es hat mich einfach gepackt, und dann habe ich es selber probiert.» Schnider praktiziert den Betruf von Kindsbeinen an: «Ich habe es von meinem Vater gelernt. In meiner Familie hat die Tradition. Schon mein Grossvater hat ihn mit der Folle gerufen.»

Texte variieren

Inhaltlicher Kern des Betrufs sind Lob und Bitte, die an höhere Mächte gerichtet sind. «Dahinter steht die Absicht, schädliche Einflüsse von der Alp fernzuhalten» beschreibt Marius Risi in seinem Beitrag «Betruf in der Zentralschweiz» auf der Website des Bundesamts für Kultur. Er spricht denn auch von Bannformeln. Die Texte variieren, kaum eine Fassung werde auf mehreren Alpen zu Gehör gebracht, «weil fast alle Sennen ihre eigenen, historisch gewachsenen Varianten pflegen», so Risi.

Es hat mich einfach gepackt, da habe ich es selber probiert.

Heinz Schmid

Dennoch liessen sich regionale Gemeinsamkeiten erkennen. Laut Brigitte Bachmann-Geiser («Der Betruf in den Schweizer Alpen» in «Geschichte der Alpen 11/2006) beginnt der Betruf im Oberwallis oft mit dem Johannesevangelium, während in der Ostschweiz die Bitte um Schutz vor Tieren, etwa Wolf oder Bär, charakteristisch sei. In der Zentralschweiz sei das Motiv des goldenen Rings, der den Schutzraum bezeichnet, oder des goldenen Throns, auf dem Maria sitzt, häufig, so Bachmann. Der Schutz, so die ursprüngliche Vorstellung, wirke so weit, wie der Schall der Stimme reicht. Daher werde die Stimme durch die Folle verstärkt.

Bezug zum Glauben

«Für meinen Vater, der sehr gläubig war, hat der Betruf zum Älplen dazugehört, als Bitte um Schutz für Tiere und Hof», bestätigt David Schnider. Der Betruf durfte denn auch nie ausfallen, aus Angst, dass dann etwas passieren könnte. «Einmal hat mein Vater mich nachts um ein Uhr geweckt und mich ermahnt, weil ich den Betruf am Abend vergessen hatte», erinnert er sich.
 

Heinz Schmid erkennt in der Tradition auch eine ganz pragmatische Funktion: «Bevor es Zufahrtsstrassen und Telefon gab, diente der Betruf auch der gegenseitigen Information unter den Sennen, ob alles in Ordung sei.» Er selber pflegt den Betruf heute noch nahezu täglich, «ausser, wenn es heftig regnet, und am Mittwoch, wenn ich Jodelprobe habe», sagt er, und schmunzelt. Die Frage, weshalb sie diesen Brauch pflegen, stellt sich den beiden nicht wirklich: «Es gehört einfach dazu», sagt Heinz Schmid, «es ist Tradition».
 
Der Glaube spielt bei beiden Entlebucher Sennen nicht mehr dieselbe Rolle wie früher. Und dennoch: «Ich glaube schon, dass etwas dahinter ist», umschreibt Heinz Schmid die religiöse Dimension des Brauchs. «Man hat nicht immer alles im Griff», sagt auch David Schnider. Gewitter, Blitzschlag, Löcher im Gelände, oder Felsvorsprünge könnten Mensch und Vieh auf der Alp in Gefahr bringen. «Aber das heisst nicht, dass nichts passiert, wenn ich den Betruf singe», sagt Schmid lachend.

 


Auch vom Grossmünster

«Mit dem Betruf bin ich zehnmal mehr geistig bei der Sache als Leute, die jeden Sonntag «z'Chele» gehen», meint Schnider, «es ist das einzige katholische Ritual, das ich wirklich konsequent durchziehe. Anstatt abends mit den Kindern zu beten, sind sie dabei, wenn ich den Ruf bete.» Seine Tochter (6) habe Interesse daran und beginne bereits, das Ave Maria zu lernen. Auch wenn der Brauch mehrheitlich von Männern gepflegt wird, ist er Frauen nicht vorenthalten. Die Frau von Heinz Schmid ruft ihn ebenso, wie es die Mutter von David Schnider tat.

Der Betruf wurde laut Risi erstmals im 16. Jahrhundert auf den Alpen des Pilatus nachgewiesen. Hier und im Entlebuch wird er noch heute gepflegt. In Uri, Schwyz und Unterwalden ertöne er «vielerorts noch häufig». Während er im Kanton Zug verschwunden ist, hört man den Ruf auch in Appenzell Innerrhoden, im Sarganserland (SG), in der Surselva (GR) sowie in Teilen des Oberwallis. Seine Herkunft als Bannformel wurde deutlich, als der reformierte Pfarrer Christoph Sigrist während des Lockdown 2020 mit der Folle einen Stadtsegen vom Turm des Zürcher Grossmünsters rief, in einer modernen Textfassung.

Der Betruf nach David Schnider

Oh lobet, zu lobet! In Gottes Namen lobet
Oh lobet, zu lobet! In aller Heiligen Gottes Namen lobet
Oh lobet, zu lobet! In unserer lieben Frauen Namen lobet
Gott und der hl. St. Antoni, St. Wendelin und der hl. Landesvater Bruder Klaus
Die wollen heut Nacht hier auf dieser Alp Herberge halten
Das ist das Wort, das weiss der liebe Gott wohl
Hier über dieser Alp, da steht ein goldner Thron
darin wohnt Gott und Maria mit ihrem allerliebsten Sohn
und die ganze allerheiligste Dreifaltigkeit unter ihrem Herzen verschlossen
Der Eint ist Gott der Vater, der Ander Gott der Sohn
der Dritt ist Gott der lieb heilig Geist, Amen
Ave! Ave! Ave Maria, Jesus, oh Herr Jesus Christ, ach Herzallerliebster Jesus
Bhüet Gott Seele, Leib und Guet und alls was da uf dere Alp isch
und derzue ghöre tuet.
Oh lobet, zu lobet! In Gottes Namen lobet.
Ave! Ave! Ave Maria!

Dieser Beitrag erschien zuerst im Kantonalen Pfarreiblatt Luzern.

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