Luise Schottroff hat uns gelehrt, die Bibel neu zu lesen, sie genau zu lesen. Sie lehrte an den Universitäten Mainz, Kassel, Berkeley und New York, 2007 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg verliehen.
Politisches Engagement und eine tiefe, von biblischer Tradition getragene Frömmigkeit kamen bei ihr zusammen. Sitzblockaden im Hunsrück vor den dort stationierten amerikanischen Raketen in den 1980er Jahren gehören ebenso zu ihrer Biographie wie Bibelarbeiten mit Dorothee Sölle auf den Kirchentagen.
Luise Schottroff wurde 1934 in Berlin geboren, sie stammte aus einer Familie, die sich in der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus gestellt hat. Ihr Vater war Pfarrer, ihre Mutter war von der Frauenbewegung geprägt. Sie unterrichtete ihre Kinder zuhause, solange es möglich war, damit sie nicht dem öffentlichen Schulsystem ausgeliefert waren. Nach dem Theologiestudium arbeitete Luise Schottroff als Assistentin an der Universität Mainz und habilitierte sich dort. In den späten 1960er Jahren hat sie dort die politisch engagierten Studierenden erlebt, die sie mit ihrer Begeisterung angesteckt haben. In diesen Gruppen war es verpönt, die Bibel ernst zu nehmen. Sie galt als konservativ und überflüssig, allenfalls dafür geeignet, sich gegenüber Kirchenleitungen zu rechtfertigen, wenn man für politische Anliegen eintrat. Luise Schottroff hat nach Wegen gesucht, ihre Freude an der biblischen Tradition mit diesen politischen Aufbrüchen zu verbinden. Zusammen mit ihremMann Willy Schottroff, der in Frankfurt Altes Testament lehrte, machte sie sich auf den Weg, die Bibel sozialgeschichtlich auszulegen.
Zu den zahlreichen Arbeiten, die aus dem sozialgeschichtlich-befreiungstheologischen Ansatz Luise Schottroffs hervorgegangen sind, gehört das mit anderen 2009 herausgegebene «Sozialgeschichtliche Wörterbuch zur Bibel». Sozialgeschichte und Theologie gehören für sie unauflösbar zusammen. Nur in ihrer Verbindung werde daraus das, was sie «Befreiungstheologie im Kontext der ‹ersten› Welt» genannt hat.
Ihre Arbeit war zudem massgeblich beeinflusst vom christlich-jüdischen Dialog. Dass Jesus und Paulus Juden waren, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Aber es gibt eine fatale und Jahrhunderte alte antijüdische Tradition, sie so zu verstehen, als wären sie zugleich oder überhaupt nur die ersten Christen gewesen. Ihr wissenschaftliches Leben hindurch hat Luise Schottroff daran gearbeitet aufzudecken, was es für christliche Theologien heute bedeutet, das Neue Testament als jüdische Schrift des ersten Jahrhunderts zu lesen. Die Beschäftigung mit rabbinischen Gleichnissen hat dabei wesentlich dazu beigetragen, die vorherrschende allegorische Deutung in christlicher Auslegung und Predigt in Frage zu stellen.
Und natürlich war die feministische Theologie ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit von Luise Schottroff. Zusammen mit anderen gründete sie 1986 die European Society of Women in Theological Research (ESWTR) und hat damit ein Netzwerk geschaffen, das heute für Theologinnen aller Fachrichtungen unverzichtbar ist. 1991 hat sie das «Wörterbuch der feministischen Theologie» mit herausgegeben, 1998 zusammen mit Marie-Theres Wacker das «Kompendium feministische Bibelauslegung ». Dennoch war die feministische Theologie für Luise Schottroff kein isoliertes Arbeitsfeld. Sie war untrennbar mit einer befreiungstheologisch ausgerichteten Sozialgeschichte und mit der Verwurzelung im christlich- jüdischen Dialog verbunden. Nicht umsonst sind dies ja auch die drei Perspektiven, die in der Bibel in gerechter Sprache zusammenkommen, zu deren Mitherausgeberinnen Luise Schottroff gehört. Darin hat sie u.a. das Matthäus-Evangelium übersetzt. Luise Schottroff ist am 8. Februar 2015 in Kassel nach langer Krankheit im Hospiz gestorben.
Claudia Janssen IG Feministische Theologinnen, Deutschschweiz und Liechtenstein Gekürzter Text: Jürg Meienberg