Ein frommer Wunsch? Die «Islamkritikerin» Ayaan Hirsi Ali legt eine neue Streitschrift vor: «Reformiert euch! Warum der Islam sich ändern muss.» Darin plädiert die somalisch-niederländisch-amerikanische Intellektuelle für eine grundlegende Reform des Islam.
Sie ist optimistisch, dass das gelingen werde. Ihre eigene Biographie und intime Kenntnis der islamischen Gesellschaften und Kultur sowie ihre Forschungen machen Ayaan Hirsi Ali zu einer der wichtigsten Stimmen in der Debatte über den Islam. Das Buch nimmt die Terroranschläge in Paris zum Ausgangspunkt, bietet fundierte Einordnung und Hintergründe, vor allem aber bezieht Hirsi Ali klar Stellung: gegen einen erstarrten Islam und dessen Tolerierung durch den Westen. Und für eine Reformation ihrer Religion durch die Muslime, die sie bereits auf dem Weg sieht.
Dissidenten seien dringend notwendig. Sie will sich explizit als solche verstanden wissen. Hirsi Ali holt bisweilen weit aus und widmet ganze Kapitel der islamischen Geschichte. Das ist überaus interessant und gleichzeitig spannend zu lesen. Die Forderung nach einer Reformation des Islam ist nun keineswegs neu. Das weiss auch Hirsi Ali. Sie schreibt: «Die Forderung nach einer solchen Reformation ist mindestens seit dem Niedergang des Osmanischen Reiches und der anschliessenden Abschaffung des Kalifats wiederholt gestellt worden.» Darum wird sie konkret.
Fünf Punkte macht sie aus, die reformiert werden müssen: die wörtliche Auslegung des Koran; die Vorstellung, das Leben nach dem Tode sei wichtiger als das Leben davor; die Scharia als Grundlage der islamischen Rechtslehre und Praxis; das Privileg der Gelehrten, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten; und schliesslich: «Die Notwendigkeit, den Dschihad bzw. den heiligen Krieg zu führen.»
Ayaan Hirsi Ali beherrscht sechs Sprachen, sie ist Politikwissenschaftlerin, Frauenrechtlerin und Politikerin. 1969 in Somalia geboren, lebte sie in Saudi-Arabien, Äthiopien und Kenia, bevor sie sich 1992 auf den Weg nach Kanada machte. Sie strandete schliesslich in Holland, das die junge, hochbegabte Frau aufnahm. Hier studierte sie und wurde Politikerin. 2006 beendete sie nach einer parteiinternen Intrige ihre Karriere. Seither lebt sie in den USA, sie arbeitet unter anderem an der renommierten Harvard University. Hirsi Ali ist mit dem britischen Historiker Niall Ferguson verheiratet und hat einen Sohn.
Andreas Krummenacher