Foto: Kay Lau, unsplash.com

«Da ist ein neuer Mensch»

Begegnungen im Heim für traumatisierte Frauen

Vor einigen Wochen habe ich in einem Fachspital der Seele sowohl im Heim- als auch im akut-klinischen Bereich eine Woche lang hospitiert. Gleich am ersten Tag begleitete ich eine Heimleiterin, die im Wohnbereich für Frauen mit Traumafolgestörungen verantwortlich ist.

Bei der Einführung sagte sie mir, dass es nicht wahrscheinlich sei, einer der Frauen im Haus zu begegnen. Ich sei zwar gross auf der Info-Tafel angekündigt worden, damit die Frauen Zeit hätten, sich auf mich einzustellen und von mir nicht überrumpelt zu werden, wenn ich das Haus und die Wohnbereiche in einem Rundgang beginge. Ich solle darüber nicht enttäuscht sein. Innerlich spürte ich dann aber doch einen Moment der Traurigkeit. Ich war doch schon so auf die Begegnungen mit den Frauen gespannt und hatte mich innerlich darauf vorbereitet ... Und so kam es dann auch.

Ich ging durchs Haus, sah die Wärme- und Kuschelecke, die Küche und die grosse Terrasse, auf der sich in grossen Kästen die unterschiedlichsten Kräutersorten befanden, die darin hochgewachsen waren. Ein Projekt des Lockdowns, meinte die Leiterin. Irgendwann auf dem Rundweg gesellte sich dann die Therapiehündin Ella dazu und hiess mich auf ihre Art willkommen. Hier und da sah ich einen Schatten, ein Huschen über den Gang oder wie sich kurz eine Zimmertür öffnete und ebenso schnell wieder schloss.

Währenddessen erzählte die Heimleiterin mir konkret vom Wohnen der Frauen, ihrer Tagesstruktur, der individuellen Begleitung auf dem Weg zurück ins Leben und wie sie sich Schritt für Schritt das Leben zurückerobern und dem Leben wieder eine Perspektive geben.

Der Abschluss meines Rundgangs fand im Stationszimmer der Pflege statt. Dort angekommen, berichteten mir die Pflegenden von ihren täglichen Herausforderungen und wie sie diese zusammen bewältigen. Plötzlich klopfte es an der Tür. Zuerst kam eine Frau, linste um die Ecke, schaute mich aus der Entfernung an und erbat sich dann von der Pflege ihre Medikamente. Kurz darauf erschien die nächste Frau. Die Tür war noch offen, und im Türrahmen stehend, betrachtete sie mich in aller Ruhe. Ein kurzes Lächeln huschte ihr über die Mundwinkel, dann sagte sie leise, aber bestimmt: «Da ist ein neuer Mensch.»

Ich war überrumpelt und tief berührt. So ein Kompliment hatte mir bisher noch niemand gemacht. Die Heimleiterin, ebenfalls gerührt von dieser Aussage, meinte liebevoll zu mir: «Jetzt bist du hier angenommen, bist willkommen und gehörst dazu.»

Isabella Skuljan

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