EKS-Präsidentin Rita Famos hat Verständnis für den Ärger über Abstimmungsparolen an Kirchtürmen. Foto: Sylvia Stam

«Das Evangelium liefert keine Abstimmungsparolen»

Kirche und politisches Engagement - ein Gespräch mit Rita Famos.

Sollen sich Kirchen für Ökologie und Menschenrechte einsetzen? Rita Famos, Präsidentin der Evangelischen Kirche Schweiz, reflektiert das kirchliche Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative.

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Was entgegnen Sie einer regelmässigen Kirchgängerin, die gegen die Konzernverantwortungsinitiative war und sich über die Ja-Parole am Kirchturm genervt hat?

Rita Famos: Ich kann sie verstehen. Mit den Bannern ging man meines Erachtens einen Schritt zu weit. Denn Kirchtürme sind städtebaulich exponierte, dominante Gebäude. Sie repräsentieren das Gotteshaus, wo sich die Menschen zum Gebet einfinden und ihren Glauben leben wollen. Da gehören politische Parolen nicht hin.

Kritiker:innen werfen den Kirchen jedoch vor, dass solche Entscheidungen nicht demokratisch abgestützt gewesen seien.

Lokal war das sicherlich demokratisch abgestützt. Die Kirchgemeinde, zumindest aber die Kirchenpflege bzw. der Pfarreirat müsste darüber abgestimmt haben. Darum würde ich der oben erwähnten Kirchgängerin auch sagen: «Beteiligen Sie sich, wenn in der Kirchgemeinde, in der Sie Mitglied und somit stimmberechtigt sind, wenn solche Entscheide gefällt werden.» Denn den Entscheid, ob am Kirchturm einer Gemeinde ein Banner hängt, fällt die Kirchgemeinde und nicht die EKS.

Würden Sie die Haltung Ihrer Kirche in diesem Abstimmungskampf, ihren Einsatz für Menschenrechte und Ökologie, dennoch als richtig beurteilen?

Natürlich muss sich die Kirche für Menschenrechte und Ökologie einsetzen! In Frage steht jedoch, ob der Weg dazu bei der Konzernverantwortungsinitiative der richtige war. Die Diskussion wurde etwas spät lanciert und es hätte der kirchlichen Debatte gut getan, wenn sie breiter abgestützt gewesen wäre. Laut Abstimmungsanalyse* hat die Mehrheit der Reformierten gegen die Vorlage gestimmt. Das müssen wir ernst nehmen.

Die Ja-Parole wurde kirchlicherseits mit dem Evangelium begründet. Die Botschaft des Evangeliums kann polarisieren. Gleichzeitig wollen Kirchen nach innen integrierend wirken. Wie geht die EKS mit diesem Widerspruch um?

Das Evangelium ist kein Lieferant von Abstimmungsparolen. Unsere Aufgabe ist es, die gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen in den Dialog mit dem Evangelium und den theologischen Grundwerten der Kirche zu bringen. Dabei müssen wir es aushalten, dass aus diesem Dialog verschiedene Schlüsse gezogen werden.

Haben Sie die Sonderstellung der Kanzel unterschätzt?

Ich glaube nicht, dass die Pfarrschaft die Stellung der Kanzel unterschätzt hat, aber ich appelliere an sie, diese Sonderposition insbesondere vor Abstimmungen zu reflektieren. Denn Gottesdienstbesuchende können auf eine Predigt nicht unmittelbar reagieren und kommen sich unter Umständen bevormundet vor.

Sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?

Wir müssen den Dialog mit der Wirtschaft intensivieren und den sozialethischen Dialog auf allen Ebenen fördern, indem wir uns überlegen: Was für Gefässe gibt es, wo wir unsere Positionen diskutieren können? Dies sollte nicht erst im Abstimmungskampf geschehen, sondern vorher.

Auf dem Podium sagten Sie: «Wir fassen keine Parolen.» Die EKS hat bei der Abstimmung zur «Ehe für alle» die Ja-Parole verkündet.

Wir haben darauf hingewiesen, dass die Synode der EKS bereits 2019 den Mitgliedskirchen empfohlen hat, falls die «Ehe für alle» angenommen wird, dies liturgisch umzusetzen. Wir haben uns damit positioniert, aber eine Parole würde bedeuten, dass man eine Empfehlung abgibt: «Stimmt ja oder stimmt nein.»

Wird sich EKS auch bei der Gletscher-Initiative positionieren?

Bei dieser Vorlage geht es erneut um die Bewahrung der Schöpfung, für die wir uns seit den 80er-Jahren einsetzen. Der Rat EKS hat sich aber noch nicht entschieden, ob und wie er sich zur Abstimmung äussern wird.

 

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Einfluss der Kirchen gering
*Die Vox-Analyse des GFS Bern zur Abstimmung vom 29.11.2020 zeigt: Konfessionslose stimmten eher für die Konzernverantwortungsinitiative (62%) als Kirchenmitglieder (45%). Ein möglicher Effekt wird bei intensiver praktizierenden Reformierten festgestellt: 68 Prozent derjenigen, die mindestens einmal pro Monat einen Gottesdienst besuchten, hätten ja gestimmt. Bei Katholik*innen sei kein solcher Effekt erkennbar (40% Zustimmung).

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