Für Samuel Koch (r) kann Niesen zum Glücksmoment werden. Hier mit seinem Freund Samuel Harfst in der Heiliggeistkirche in Bern. Foto: Christina Burghagen

«Das Leben geht weiter, als man denkt!»

Samuel Koch über seinen «dämlichen Unfall»

Zu einer Konzertlesung mit Samuel Koch und Samuel Harfst lud Ende Juni die Heiliggeistkirche in Bern ein. Wie ungemein charismatisch Koch wirkte, durfte das zahlreich erschienene Publikum miterleben.

Von Christina Burghagen

Millionen von Zuschauenden hatten es sich am 4. Dezember 2010 vor dem Fernseher gemütlich gemacht, um «Wetten, dass …» zu sehen. Die Show lief noch nicht lange, als der 23-jährige Samuel Koch zu seiner Wette antrat. Er wollte mit Sprungfeder-Stiefeln an den Füssen über fahrende Autos springen.

Bei den ersten drei Fahrzeugen klappte das, doch das Vierte wurde ihm zum Verhängnis. Er stürzte schwer auf den Kopf, die Sendung wurde abgebrochen, und sollte so nie wieder gesendet werden. Später wurde klar: Samuel Koch ist vom Hals abwärts gelähmt.

Zwölf Jahre später sitzt er in seinem Hightech-Rollstuhl in der Heiliggeistkirche Bern und plaudert mit seinen zahlreichen Gästen, als ob man es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hätte. Vier Bücher hat er geschrieben, eine Rolle in «Sturm der Liebe» übernommen, regelmässig bei Theaterproduktionen in Hannover, Darmstadt und Mannheim mitgewirkt und in Filmen wie etwa in «Honig im Kopf», war er auch zu sehen.

Habt ihr ein Sitzkissen?

Dirk Menger leitete den Abend mit gefühlvoller Musik am E-Piano ein, als Samuel Koch hereinrollt. Ein schlichtes «Hallo» reicht, dass ihm die Herzen zufliegen. Nicht, weil er im Rollstuhl sitzt, sondern weil er mindestens dreierlei nicht verloren hat: seinen Geist, seine Ausstrahlung und ein spitzbübisches Lächeln. Sein «Hallo» korrigiert er sofort in «Grüezi mitenand», das habe er in der Reha in Nottwil gelernt, erzählt er.

«Ich freue mich auf die nächsten viereinhalb Stunden» verkündet Koch mit diesem Lächeln. Gekicher. Ob es genügend Sitzkissen gäbe, will er wissen. Sein Bühnenpartner und bester Freund Samuel Harfst kommt zum Zug und singt romantisch von Liebe «Mit dir kam der Sommer». «Wer sitzt nicht auf Sitzkissen?» Koch lässt nicht locker. Diese Besorgtheit eines Mannes, der sich nur minimal bewegen kann, ist genial eingesetzt. Sofort stellt sich die Frage: Wer braucht hier eigentlich Hilfe?

Sitzen sei ja das neue Rauchen, da gäbe es ein Buch, das so heisst. Ihm habe das Buch jetzt nicht so geholfen. Ein zögerliches Lachen breitet sich aus. Ob Tabea Geissbühler eine gute Buchhalterin sei, will Koch wissen. Die junge Frau von versöhnt.ch, dem Mitveranstaltenden der Konzertlesung, weiss nicht so recht und kommt auf die Bühne. Sie soll die Bücher halten, aus denen Samuel Koch vorlesen will. Ach so.

Aus seinem ersten Buch «Zwei Leben» wählt er eine Passage, die ihn vor dem «dämliche Unfall», wie er ihn nennt, beschreibt. 2008 machte er in Weil am Rhein Abitur. Vor keiner Sportart sei er zurückgeschreckt. Die Gefahr schien ihn zu reizen, denn seine Zukunft stellte er sich als Sportler, Artist, Risikodarsteller, aber auch Physiker oder Lehrer vor. Pilot bei der Bundeswehr zog er auch in Erwägung. Damit erübrigte sich jede Frage, warum er damals dem ZDF diese Wette angeboten hatte.

Niesen als Glücksmoment

Sein innigster Wunsch wird sich vermutlich nicht erfüllen, den er so formuliert: «Ich würde laufen und mich später hinsetzen – weil ich es kann.» Beim Turnen hätte er sich in jungen Jahren mal das Knie ins Gesicht gerammt und sich einen Bruch zwischen Auge und Nase eingehandelt. «Neun Wochen durfte ich nicht niesen, sonst würde mir das Auge rausfallen, warnte der Arzt», plaudert Koch.

Wenn ihn jetzt der Impuls überkomme, seien im günstigsten Fall zwei Menschen bei ihm, die ihm den Brustkorb zusammendrücken, dann könne er niesen, und das sei ein Glücksmoment. Sei er alleine, falle er einfach um. Betroffenes Schweigen.

Ab und zu kommt sein Assistent auf die Bühne, um Koch sein Halstuch umzulegen oder ihm zu trinken zu geben. «Ich schaue auf das, was geht, nicht auf das, was nicht geht.» Zum Beispiel singen. Hier kenne ihn ja keiner, witzelt er. Im Major-Tom-Style singt er humorig Zeilen wie «Geniesse jeden Atemzug, tot bist du noch lang genug» oder «Das Leben geht weiter, als man denkt». Auch beim flapsigen Lied dringt Tiefgang durch.

Zur Stimmung des Abends passt der Vers, den Samuel Harfst singt: «Ich kann nicht zaubern, kann nicht fliegen, doch ich hab’ gelernt zu lieben, und zu lieben, wie ich bin.»

Die Selbstreflektion, die Koch in all seinen gelesenen Buchpassagen durchscheinen lässt, beeindruckt das Publikum, das an seinen Lippen hängt. Es ist, als wolle er sagen: «Schaut her, mir ist dieser dämliche Unfall passiert und ich lächle immer noch, dann könnt ihr das auch.»

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