Besuch beim Aufmarsch der Tschäggättä im Lötschental. Foto: Vera Rüttimann

Das magische Tal

Fasnachtsimpressionen vom Tschäggättä-Lauf im Lötschental

Die Tschäggättä, die Fabelwesen der Lötschentaler Fastnacht, sind wieder unterwegs. In Wiler VS ging am Samstagnachmittag der Fasnachtsumzug über die Bühne. Für viele Wiler ist der Aufmarsch der Tschäggättä ein vielschichtiger und tiefer Brauch.

von Vera Rüttimann

Ihre Gesichtszüge ähneln denen von Teufeln und Hexen. Eingeschnitzt sind in Arvenholz. Andere sind bemalt in grüner oder roter Farbe. Im Mund stecken Kuhzähne, im Kopf stecken Gams- oder Hirschhörner. Andere Masken kommen neumodisch daher. Sie ähneln Figuren aus Science-Fiction-Filmen. Die Holzmasken sind das Erkennungsmerkmal der Tschäggättä, jener wilden Gestalten, zu denen Besucher:innen aus dem In- und Ausland anreisen.


Bedrohliche wie Bisons

Um 14.30 Uhr startet der Umzug an der Talstation von Wiler. Die Fasnachtsgruppen und Guggenmusiken machen sich bereit. In hinteren Bereich des Dorfes kleiden sich die Tschäggättä ein. Die Männer tragen umgestülpte Kleider. Das Futter ist nach aussen gekehrt. Darüber werden Ziegen- und Schaffelle getragen. Unter das Fell auf dem Rücken ist ein Kissen mit Stroh gesteckt, so dass die Tschäggättä wie Bisons aussehen. An ihren Gürtenl hängen Kuhglocken. In den Händen halten die Gestalten mannshone Stöcke aus Holz. Verkleidete ohne Maske werden «Fuigi», «Ooschti» oder «Hibschi Liit» genannt.


Tschäggätta, Peluches, Empaillés

Die Tschäggättä haben Besuch. Heute laufen erstmals die in Fell gehüllten «Peluches» mit. Ebenso die «Maries», Männer, verkleidet als alte, übergewichtige Frauen. Und dann sind da noch die «Empaillés». Die verkleideten Männer müssen besonders leiden: Sie stecken in mit Stroh gefüllten Jutesäcken. Ihre Köpfe scheinen in den Säcken beinahe zu verschwinden. Bevor sie tanzen können, wurden sie zuvor rücklings auf den Boden gelegt, mit Stroh gefüllt und dann von kräftigen Männern aufgerrichtet.  Ein Schauspiel. Gemeinsam ziehen nun johlend, lärmend und tanzend durch die Dorfstrasse.


Ursprung der Masken

Am Strassenrand steht auch Kathrin. Die Mittsechszigerin aus Wiler schaut sich diesen Umzug seit ihrer Kindheit an. Vieles habe sich verändert. «Viele alte Dorfbewohner mögen es nicht, wenn das als Fasnachtsbrauch bezeichnet wird», sagt sie. Der «Tschäggättä»-Lauf sei vielschichtiger, gehe tiefer.

Der Ursprung sehen einige in urheidnischen Bräuchen. Andere sehen sie in der Herkunft aus der Teufelsfigur des Volkstheaters. Schriftliche Aufzeichnungen über «Tschäggättä», weiss Kathrin, finden sich im Pfarrarchiv von Kippel. Sie stammen von Prior Gibsten, der von 1864 bis 1876 Pfarrer in Kippel war. «Die Streifzüge der Tschäggättä durch die Dörfer bezeichnete er darin als unchristliche Treiben», sagt sie.


Tänze gegen dunkle Mächte

Der Tschäggättä-Brauch werde heute als touristischer Event vermarktet. Die Masken, von manchen kopiert oder sogar an der Luzerner Fasnacht getragen. «Ein Frevel», wie Kathrin sagt. In einem Masken-Schnitzer-Atelier äussert eine Frau den Wunsch, dass der Tschäggättä-Brauch in die Liste des Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen werden müsste. «Dann wären wir besser geschützt.»

Kathrin ist froh, dass sie die verfilzten, buckligen Gestalten in ihrer Kindheit noch sehr ursprünglich erlebt hat: «Es gab noch keine klickenden Smartphones. Und es ging auch etwas derber zu. Man musste damit rechnen, im Gesicht auch mal mit Russ beschmiert zu werden.» Eines aber sei damals wie heute gleichgeblieben: «Die Tschäggättä wollen mit ihren Tänzen dunkle Mächte wie Krankheiten, Lawinen und Kriege vertreiben.» Auch die armen Seelen sollen erlöst werden.


Unterwegs bis zum «Gigiszischtag»

Der Umzug ist vorbei. Die Einheimischen verschwinden nun mit ihren Gästen in einer der Trinkstuben. Die Tschäggättä versammeln sich unterdessen auf einem Platz. Dort werden die schönsten Masken gekürt. Ein Holzschnitzer beobachtet das Treiben. Wird sein Stücke Arvenholz, aus dem er über viele Stunden ein Gesicht geschält hat, einen Preis gewinnen?

Einige der Tschäggättä-Männer zieht es weiter. Bis zum Abendläuten um 18 Uhr streifen sie durch Lötschentaler Dörfer. Einzeln oder in Gruppen. Teilweise rennend und wild läutend mit Kuhglocken. Sie werden so manchem Respekt einflössen. Bis zum «Gigiszischtag» dauert dieses Treiben an. Das Lötschental mit seinen uralten Bräuchen und Traditionen, es bleibt ein magisches Tal.

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