Still sitzen und dem Raum geben, was sich zeigen will. Das ist die Idee des Wüstentages. Die Stille setzt eine grosse Kraft frei, berichten Teilnehmende.
Text und Foto: Sylvia Stam
«Warum soll ich dreimal eine halbe Stunde stillsitzen?» Diese Frage hört Peter Sladkovic manchmal von Menschen, die noch nie an einem Wüstentag teilgenommen haben. Der Gemeindeleiter und Seelsorger der Pfarrei St. Martin in Worb leitet die Meditationen an diesem Samstagvormittag im Aki Bern an. Tatsächlich spricht eine 46-jährige Frau aus Wabern hinterher von einem «kleinen Marathon», obschon sie schon oft am Wüstentag teilgenommen hat. Auch eine regelmässige Teilnehmerin aus Worb (60) hätte es früher nicht für möglich gehalten, dass sie dreimal hintereinander 25 Minuten stillsitzen könne. «Ich glaube, ich kann das nur wegen dem Shibashi, das vorangeht, und weil die Gruppe trägt», sagt sie. «Für mich ist das eine Entdeckung hier.»
«Wüstentage sind Oasen»
Sieben Personen haben sich in der Kapelle im Aki eingefunden, darunter zwei Männer. Nach einem Impuls von Peter Sladkovic zum Verhältnis von Staat und Religion leitet Rosmarie Fischer eine Einheit Shibashi an, eine Meditationsform mit sanften Bewegungen. Erst danach setzen sich die Teilnehmenden zur stillen Meditation auf ihre Schemel oder Kissen. Ein Gong – in diesem Fall elektronisch aus dem Handy – kennzeichnet Beginn und Ende der Sitzeinheit. Nach einer kurzen Pause, in der die Teilnehmenden langsam hintereinander im Kreis herum gegangen sind, folgen zwei weitere Sitzeinheiten. Ein Erfahrungsaustausch rundet den Vormittag ab.
«Für mich sind diese Wüstentage immer Oasen», sagt die Frau aus Wabern. Sie könne hier auftanken, «weil sich erstaunlich viel bewegt, obschon man äusserlich wenig tut.» Eine Frau aus Ostermundigen (71) erzählt: «Ich war heute Morgen sehr müde, als ich hierher kam. Jetzt bin ich wieder ausgeglichen. Ich kann jeweils darauf vertrauen, hier das zu finden, was ich gerade suche.» Auch sie kommt regelmässig an den Wüstentag.
Stille öffnet für Menschen und Gott
Manche Leute machten hier «Erfahrungen, die sie nur in der Stille machen können», sagt Peter Sladkovic. «Die Stille setzt eine unglaubliche Kraft frei, die einen zu sich selber führt. Gleichzeitig öffnet sie uns für andere Menschen, für Gott und für die Welt.» Dazu sei die Dauer von drei Sitzeinheiten ideal. «Zuerst muss man aus den Bewegungen des Alltags überhaupt in die Stille kommen. Die Müdigkeit, die man vielleicht empfindet, kann sich vielleicht wandeln. Da ist etwas in einem drin, das in der Stille plötzlich aufbrechen kann.»
Natürlich könne auch Schwieriges aufbrechen. Wenn dies geschehe, tue es oft schon gut, in der Gruppe hier zu sein. Anders als in Exerzitienwochen, wo tägliche Begleitgespräche stattfinden, sei im Rahmen des Wüstentags kein Raum, um solches direkt aufzufangen. Aber es bestehe jederzeit die Möglichkeit, in den Pfarreien mit einem Seelsorger, einer Seelsorgerin zu sprechen, so der Gemeindeleiter der Pfarrei St. Martin.
Wüstentage im Aki
Die Wüstentage im Aki wurden von den Jesuiten initiiert, welche das Aki lange führten. Heute stehen hinter dem Angebot eine kleine Gruppe von Frauen und der Verein «Oekumenische Exerzitien Bern». Wüstentage im Aki finden jeweils am ersten Samstag im Monat von 10-13 Uhr statt. Sie sind kostenlos.
Nächste Termine: 4.11., 2.12.23.
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