«Sich selbst zu optimieren, heisst, seinen Käfig auszukleiden», sagt Marianne Vogel Kopp. Foto: zVg

Wenn Worte einen zarten Sog ausüben

Zum Gedichtband «dem heiligen lauschen» von Marianne Vogel Kopp

Die evangelische Theologin Marianne Vogel Kopp zeigt mit ihrem jüngst erschienenen Gedichtband «dem heiligen lauschen» nach zwei Romanen ihre lyrische Facette. Die Aargauer Autorin wohnt in Spiez.

Von Christina Burghagen

Der Wald ist ein wunderbarer, sakraler Raum, um sich nahe zu sein und sich Themen anzunähern», weiss die Autorin Marianne Vogel Kopp. Dies wiederum inspirierte sie, Gedichte zu schreiben, die als poetische Kurzmeditationen Denkanstösse schenken. Sie sei ein leiser Mensch, meide lärmige Orte und laufe lieber mit ihrer Hündin Xina durch den Wald, dessen Nähe sie an ihrem Wohnort in Hondrich bei Spiez schätzt.

           tu es
           dem mandelbaum
           gleich
           der
           nach gott gefragt
           stumm
           zu blühen beginnt

Im Jahr 1959 geboren, wuchs sie als zweites von vier Kindern in Kölliken auf. «Meine Mutter brachte als Hebamme das Leben, mein Vater sorgte als Wagner und Sargtischler für die Toten», stellt die Aargauerin lachend fest. Der pietistische Hintergrund im Elternhaus und die Zugehörigkeit zum Blauen Kreuz ebneten den Weg zur Theologie, wie Marianne Vogel vermutet. In den 1960er-Jahren waren beide Elternteile sechs Tage in der Woche mit ihrem Beruf beschäftigt und waren am siebten Tag müde. «So gingen meine Geschwister und ich oft in drei Sonntagsschulen hintereinander. Erst zu den Reformierten, später zur Kinderstunde Hoffnungsbund und dann noch in die Chrischona-Kapelle, wo so schöne Bibelgeschichten erzählt wurden», erinnert sie sich.

Das Theologiestudium führte Marianne Vogel nach Basel und für ein Jahr nach Jerusalem in ein Dominikaner-Kloster, wo französisch und englisch gesprochen wurde. «Ich mochte die Tagzeiten-Gebete und überhaupt das Klosterleben.» Das Studienjahr habe sie politisch sensibilisiert und ihr eine wichtige Erkenntnis geschenkt: «Ich möchte in meiner Sprache bleiben, um mich so präzise wie möglich auszudrücken!»

           jetzt
           einfach nur
           raum öffnen

           in dem
           das göttliche
           mich vollkommen
           weiss
           und ich
           mir selbst
           seelenruhig

           abhandenkommen
           darf

Die persönliche Einkehr – das kontemplative Gebet – das In-der-Stille-Sein und Nichts-Wissen und Nichts-Kommentieren sind theologische Praktiken, die Marianne Vogel nahekommen. «Wir Theolog:innen wissen überhaupt nichts und umkreisen etwas, für das es keine Worte gibt», stellt sie fest. Mit etwa 30 Jahren habe sie gemerkt, dass es viele Wahrheiten gebe und sie begann, ihre Muster aufzuspüren. Damit habe sie einen Entdeckungs- und Befreiungsweg angetreten, der sie auch in Schattenzonen führte. «Oft war mir etwas peinlich, oder ich entdeckte, dass ich auch eine böse Seite habe oder neidisch bin.» Es gehe doch darum, auch diese Seiten an sich zu würdigen – weich zu werden. Diesen Schattenzonen sind im Buch auch etliche Zeilen gewidmet:

           lauter abgelehnte züge
           mühsam versteckt vor mir selbst
           treiben es dennoch bunt
           torpedieren meinen Alltag

Zum Begriff «Selbst-Optimierung», der seit einiger Zeit in der Gesellschaft herumgeistere, hat die 63-Jährige eine klare Haltung: «Dieses ‹Ich›, das sich viele Menschen aufdrücken, ist ein Käfig. Sich selbst zu optimieren, sei es mit Wissen, Luxusgütern oder Schönheits-OPs, heisst demnach, seinen Käfig auszukleiden – mit goldenen Stäben oder einer Schlafstange, ausgerichtet nach Feng-Shui-Regeln.» Viel spannender sei es, aus dem Käfig auszubrechen und all seine Facetten kennenzulernen. Ihr ginge es um das Loslassen von Selbstbildern, um die Freiheit zu entdecken.

In ihrem Gedichtband begegnen dem Lesenden kluge, warme Zeilen, die unweigerlich zum Reflektieren anregen:

           wen könnte ich
           erst einmal
           gründlicher kennenlernen
           wen endlich
           ernst nehmen
           ausser mich selbst

Vogels Gedichte kommen ganz ohne Titel aus. Dafür üben ihre Zeilen einen Sog aus weiterzulesen, manchmal wie ertappt zu lächeln, zustimmend zu nicken und innezuhalten.
 

 

Marianne Vogel Kopp, «dem heiligen lauschen – Gedichte aus der Stille», TVZ-Verlag, mit Kalligrafien von Anja Kiel, ca. 22 CHF.

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