Fasten schärft Helen Marshalls Fokus auf Gott und stärkt sie in ihrem Auftrag. Foto: Pia Neuenschwander

«Den richtigen Umgang mit Gottes Geschenken lernen»

Helen Marshall über ihre Erfahrung mit dem Fasten

Helen Marshall ist seit 2019 die erste Pfarrerin in der anglikanischen Kirche St. Ursula in Bern. Fasten lässt sie im Alltag mitfühlender, dankbarer und aufmerksamer werden, für Gott und die Menschen um sie herum.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Was bedeutet Ihnen das Fasten?

Helen Marshall: Fasten ist eine hilfreiche spirituelle Disziplin, die im Alten und Neuen Testament erwähnt und seit Jahrtausenden von vielen Christ:innen praktiziert wird. Mein Hauptziel beim Fasten ist es, im Gebet offener für Gott zu sein. Fasten und beten gehören für mich zusammen – Fasten hilft, meinen Fokus auf Gott zu schärfen und stärkt mich in meinem Willen und meinem Auftrag. Während einer Fastenzeit macht mir Gottes Geist mitunter meine Fehler, Schwächen und mangelnde Nächstenliebe bewusst, so dass ich mir normalerweise Zeit für ein Schuldbekenntnis nehme. Fasten erinnert mich zudem daran, dass ich nebst dem Essen auch spirituelle Nahrung brauche: «Hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen» (Jesaja, 55,2); «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein» (Mt 4,4). Beim Fasten versuche ich, mehr über die Heiligen Schrift nachzudenken, langsam lese ich eine kurze Bibelstelle, meditiere darüber und verwende sie im Gebet. Fasten regt mich auch an, dankbarer für die guten Geschenke des Lebens zu sein. Es erinnert mich daran, dass ich den richtigen Umgang mit den Geschenken Gottes lernen muss – und sie nur leicht festhalten statt mich possessiv daran klammern soll. Ich bete auch dafür, dass mir die Bedürfnisse anderer bewusster und ich mitfühlender werde.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Im Rahmen einer Spendenaktion gegen den Hunger auf dieser Welt habe ich als Teenager erstmals gefastet. Der Fokus lag auf den Notleidenden, und fastend betete ich für sie. Seither habe ich oft zurückgezogen in der Stille, allein oder an einer Retraite zusammen mit anderen gefastet – als Ausdruck meiner Hingabe zu Gott und als Hilfestellung, um fokussiert und aufmerksam zu beten.

Wann, wie und was fasten Sie?

Am Aschermittwoch und Karfreitag ist Fasten für mich ganz besonders mit Beichte und Reue verbunden. Im Alltag versuche ich, einmal pro Woche zu fasten. Ich tue dies fast durchs ganze Jahr hindurch, ausser zu Festzeiten wie Weihnachten und Ostern. Meistens fällt es mir nicht allzu schwer, obwohl ich vom fehlenden Kaffee manchmal Kopfweh bekomme. An meinen persönlichen Rückzugstagen faste ich alleine, und einmal pro Woche fasten mein Mann und ich gemeinsam. Ich organisiere zudem gemeinsame Bet- und Fastentage für die Mitglieder unserer Kirchgemeinde. Alle fasten zu Hause, und wir treffen uns mehrmals täglich online zum Gebet, zum Austausch und zur gegenseitigen Ermutigung. Ich gebe auch spirituelle Inputs. Mehrere Teilnehmende finden dieses gemeinsame Fasten viel einfacher und schätzen es, ihre Erfahrungen und Einsichten aus der Bibel mit anderen zu teilen. Beim Fasten esse ich normalerweise von morgens bis 18.00 nichts, das handhaben wir auch in unserer Fastengruppe so. Ich habe auch schon länger gefastet. Ich trinke immer viel Wasser oder Tee und ausser gelegentlich einer Frucht esse ich nichts anderes. Nebst dem Essen ist es gut, bewusst auch auf Anderes zu verzichten, etwa auf leeres Geschwätz oder das Internet.

Fragen Menschen Sie um Rat?

Ja. Heutzutage ist das Interesse am Fasten grösser als früher. Als ich das erste Mal ein Mitglied aus unserer Kirchgemeinde in Bern traf, kam eine Frage zum Fasten. Ich habe Kurse und Predigten darüber gehalten und mich auch mit Menschen unter vier Augen übers Fasten unterhalten. Das Thema ist heute auch aus gesundheitlicher Perspektive sehr interessant. Ich finde jedoch, Christ:innen sollten nicht aus dieser Hauptmotivation heraus fasten.

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