Fabienne Haldimann mit einem Vertreter der älteren Bevölkerung von Cusco. Foto: Joel Zanabria

«Denkanstösse sind etwas vom Wertvollsten»

Fabienne Haldimann arbeitet in Peru mit betagten Menschen

Einst missionierten Europäer:innen in Lateinamerika. Heute arbeitet die atheistische Berner Sozialarbeiterin Fabienne Haldimann in Peru für eine christliche Organisation. Sie ist überzeugt, dass es Entwicklungszusammenarbeit auch heute noch braucht.

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Erzählen Sie von einem besonders schönen Erlebnis.

Fabienne Haldimann: Ein 80-jähriger Mann bat mich, ihn bei der Untersuchung eines Geschwürs zu begleiten. In Peru steht man drei Stunden bei einem Krankenhaus Schlange, nur um einen Termin zu erhalten. Am Termin selber wartet man dann nochmals Stunden, und das mehrere Male. Ich stand also mehrmals mit diesem Mann in der Schlange, dadurch haben wir uns auch besser kennengelernt. Nach sechs Wochen bekam er einen OP-Termin, inzwischen wurde das Geschwür operativ entfernt. Ich habe gespürt, dass er sich sehr gefreut hat über meine Begleitung, dass jemand ausserhalb seiner Familie ihm  Support gibt.

Braucht es dafür Schweizer Know-how?

(lacht) Nein, dafür braucht es das nicht. Ich arbeite für Kallarisunchis, eine Organisation vergleichbar mit Caritas. Ein Herzenswunsch von Kallarisunchis ist  es, eine Art Altersheim zu schaffen für Menschen, die keine Familie haben, wo sie in Ruhe leben und dereinst einmal sterben können. Meine Aufgabe ist es  abzuklären, was es dazu braucht, wie man das finanzieren kann etc. In der Schweiz ist man in diesen Fragen viel weiter. In Peru ist das Alter ein neues Phänomen. Meine Aufgabe sehe ich zudem auf der Systemebene, zum Beispiel in der Vernetzung. Es gibt viele Gruppierungen, die mit älteren Menschen  arbeiten, die sich jedoch gegenseitig nicht kennen. Wir sind dabei, einen runden Tisch für die Problematiken des Alters zu gründen.

Ist es für diese Menschen Thema, dass Sie Europäerin sind?

Ja, im positiven Sinn. Das erste, was ich vom Präsidenten einer Vereinigung älterer Menschen gehört habe, ist: «Wie schön, dass Gott uns eine Fremde geschickt hat, die sich für uns interessiert.»

Warum braucht es Entwicklungszusammenarbeit heute noch?

Das Wertvollste an der Entwicklungszusammenarbeit sind die Langfristigkeit und der gemeinsame Lernprozess. Vom Austausch mit meinen Kolleg:innen gebe ich etwas in die Schweiz zurück, mit diesem Interview, mit meinen Rundbriefen und Mails. Wenn ich Schweizer:innen erzähle, dass ich seit einer Woche kein Wasser habe, löst das etwas aus. Solche Denkanstösse sind etwas vom Wertvollsten der Entwicklungszusammenarbeit.

Was empfinden Sie als grösste Schwierigkeit?

Der Staat tut wenig in den Bereichen Armutsbekämpfung und Gesundheit. Hier springen Organisationen wie Kallarisunchis in die Bresche. Meine Kolleg:innen arbeiten mit viel Engagement. Schwierig finde ich, sie darauf anzusprechen, dass vieles davon nicht ihr Job wäre, sondern Aufgabe des Staates. Wenn alle zu einem Minimallohn 200 Prozent Einsatz leisten, sieht der Staat keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern.

Was nehmen Sie mit, wenn Sie nach einigen Jahren in die Schweiz zurückkehren?

Die «adultos majores» sind für mich eine neue Klientel. Auf dem Schweizer Sozialdienst habe ich Klient:innen bis 63 begleitet. Hier lerne ich sehr viel über diese Bevölkerungsgruppe. Ich könnte mir daher vorstellen, dass ich diese Erfahrungen zu einem späteren Zeitpunkt in der Schweiz brauchen kann. Da werden wir auch zunehmend mit älteren Migrant:innen konfrontiert sein. Meine Erfahrungen hier können vielleicht auch dazu dienen, in der Schweiz Alternativen zu herkömmlichen Altersheimen aufzubauen.

Auch in der Schweiz gibt es ältere Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Weshalb engagieren Sie sich in Peru?

Ich hatte bei meinen letzten Stellen als Sozialarbeiterin in der Schweiz viel mit Migrantinnen zu tun. Dabei fragte ich mich oft, wie es sich von innen anfühlt, wenn man fremd ist. Wenn man mit all den kleinen Alltagsproblemen und den Schwierigkeiten der Integration konfrontiert ist. Deshalb wollte ich einmal im Ausland leben und arbeiten.

Kallarisunchis ist eine evangelische Organisation. Wie haben Sie es mit der Religion?

Ich bezeichne mich als Atheistin, entsprechend ist der Alltag in einer christlichen Institution nicht nur einfach für mich. Der christliche Glaube ist eine Basis, von dem meine Kolleg:innen privat und beruflich zehren. Christliche Werte zu vermitteln, ist ihnen sehr wichtig. Anfänglich hatte ich Mühe mit diesem Missionieren, bis ich gemerkt habe, dass dieser religiöse Boden in der ganzen Gesellschaft vorhanden ist.

Wie zeigt sich das?

In der Schule gehört ein «Vater unser» vor dem Unterricht einfach dazu. Kinder lernen anhand von Bibelstellen lesen. In der Schweiz sind Kirche und Staat mehr entflochten. Meine Kolleg:innen können zum Glück damit umgehen, dass ich nicht gläubig bin. Ich kann mich allerdings mit vielen christlichen Werten identifizieren. Sie bilden den Boden meiner Profession, da die Soziale Arbeit aus dem Christentum hervorgegangen ist

 

Hintergrund
Die Berner Sozialarbeiterin Fabienne Haldimann (40) ist für drei Jahre mit Comundo in Cusco (Peru) im Einsatz. Im Auftrag von deren Partnerorganisation Kallarisunchis ist sie verantwortlich für ein Projekt mit älteren Menschen. Sie unterstützt diese darin, sich mehr Gehör zu verschaffen und zu ihren Rechten  zu kommen. Ausserdem sensibilisiert sie die Bevölkerung für die Probleme älterer Menschen wie Armut, Krankheit, Verlassenheit.

Comundo (bis 2017  Bethlehem Mission Immensee) setzt sich für soziale Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen benachteiligter Menschen jeden Alters ein. Dazu  vermittelt die NGO mit Hauptsitz in Luzern Fachleute aus Deutschland und der Schweiz an Partnerorganisationen im globale Süden.
comundo.org

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