Die Berner Grossräte Carlos Reinhard (FDP) und Tobias Vögeli (GLP) | © Annalena Müller

«Der Geldhebel dient der Qualitätssicherung»

Berner Grossräte wollen die Zahlungen an die Kirchen an Bedingungen knüpfen

Die Berner Grossräte wollen Zahlungen an die christlichen Kirchen an Bedingungen knüpfen. Der Grünliberale Vögeli will kantonale Zahlungen von Schutzkonzepten abhängig machen. Der Freisinnige Reinhard findet, Unternehmen sollten selbst entscheiden, ob sie Kirchensteuern zahlen wollen. Der Grosse Rat wird sich im März mit den Vorstössen befassen.

von Annalena Müller

In der Frühjahrssession 2024 befasst sich der Grosse Rat des Kantons Bern mit zwei Motionen, die den Geldhebel ansetzen wollen. Carlos Reinhard (FDP) will, dass die Kirchensteuer für Unternehmen freiwillig wird. Tobias Vögeli (GLP) fordert, dass kantonale Gelder erst an Kirchen und Kirchgemeinden fliessen, wenn diese Schutzkonzepte vorlegen.

Die Motionen betreffen neben der katholischen auch die reformierte und die christkatholische Kirche. Der Regierungsrat hat den Vorstoss von Reinhard zur Annahme empfohlen, den von Vögeli zur Ablehnung. Die Frühjahrssession beginnt am 4. März.

Herr Reinhard, Herr Vögeli, Sie haben Motionen eingebracht, die den Kirchen im Kanton Bern Gelder streichen wollen – um was geht es konkret?

Carlos Reinhard*: Es geht nicht darum, den Kirchen Gelder zu streichen, es geht um eine Freiwilligkeit der Kirchenabgaben von juristischen und natürlichen Personen. Als Privatpersonen haben Sie eine Wahl, ob sie Kirchenmitglied sein wollen oder nicht. Als juristische Person, also als Unternehmen, haben sie diese Wahl im Kanton Bern nicht. Es geht bei meinem Vorstoss auch um Gleichberechtigung.

Müssen Unternehmen und Individuen denn gleichbehandelt werden? Die Kirchensteuern der juristischen Personen werden vor allem für soziale Zwecke verwendet

Reinhard: Unternehmen, aber auch der Kanton, unterstützen auch andere soziale Projekte. Der Unterschied ist: Bei privaten Anbietern gibt es eine Leistungsvereinbarung und Qualitätsmanagement samt Reporting. Die Kirchen müssen das aktuell alles nicht machen. Sie bekommen einfach Steuergelder, und es gibt kein staatliches Monitoring, was damit geschieht. Wenn diese Abgaben freiwillig sind, müssen die Kirchen mit anderen sozialen Anbietern konkurrieren, und das würde der Qualitätssicherung dienen.

Um wieviel Geld geht es konkret bei der Kirchensteuer juristischer Personen?

Reinhard: Es geht um etwa 40 Millionen Franken. Aufgeteilt auf die drei christlichen Kirchen: katholisch, reformiert und christkatholisch.

Herr Vögeli, auch der von Ihnen eingereichte Vorstoss will die Kirchen in die Verantwortung nehmen und setzt dafür auf den Geldhebel. Um was geht es?

Tobias Vögeli**: Ich habe im September eine Motion zur Sistierung – also Aussetzung, nicht Streichung – von Kantonsgeldern an die Kirchen eingereicht. Es geht mir dabei um die Verantwortung des Kantons in der Missbrauchskrise. Die Idee ist auch bei meinem Vorstoss eine Leistungsvereinbarung. Katholische, reformierte und christkatholische Kirchgemeinden sollen verpflichtet werden, Schutzkonzepte zu erarbeiten und diese dem Kanton vorzulegen, bevor sie staatliche Gelder bekommen.

Haben das die meisten Kirchgemeinden nicht längst?

Vögeli: Das ist unterschiedlich. Viele haben Konzepte, ja. Und diese Gemeinden würden die Kantonsgelder auch direkt ausgezahlt bekommen. Aber es gibt auch Gemeinden, die sich dem verweigern. Und da ist der Kanton meiner Meinung nach in der Pflicht. Der Geldhebel wäre eine gute Möglichkeit, hier Bewegung zu erzwingen.

In der Frühjahrsession wird über die beiden Motionen abgestimmt. Der Regierungsrat hat Ihren Vorstoss, Herr Reinhard, zur Annahme empfohlen. Warum?

Reinhard: Die Motion berührt Themen, die schon lange und immer wieder diskutiert werden. Die Weiterführung der Trennung von Kirche und Staat zum Beispiel. Und die Anerkennung der gesellschaftlichen Realitäten: Neben den kantonal geförderten christlichen Kirchen gibt es mittlerweile andere Glaubensrichtungen, die fest in der Gesellschaft verankert sind. Die Zeit ist einfach reif.

Ist Ihre Motion nicht ein Schritt in die Richtung: Abschaffung der Kirchensteuer?

Reinhard: Nein, das ist nicht meine Motivation. Ich bin davon überzeugt, wenn man es beim Zwang belässt und wenn man keine Qualitätssicherung und Schutzkonzepte verlangt, dann wird die Steuer irgendwann ganz abgeschafft. Die Freiwilligkeit und der damit einhergehende Wettbewerb ermöglicht den Kirchen, sich zu bewegen. Und ja, es zwingt die Kirchen eventuell auch dazu, sich etwas auf die Gesellschaft zuzubewegen.

Herr Vögeli, im Gegensatz zur Motion von Herrn Reinhard hat der Regierungsrat Ihren Vorstoss zur Ablehnung empfohlen. Waren Sie überrascht?

Vögeli: Ich würde jetzt gerne sagen: ja. Aber ehrlicherweise habe ich damit gerechnet. Überrascht hat mich allerdings die Argumentation des Regierungsrats.

Inwiefern?

Vögeli: Es ist eine politische Bankrotterklärung, wenn der Regierungsrat sagt, dass ihm rechtlich die Hände gebunden sind, Gelder zu sistieren. Selbst wenn er feststellt, dass Straftaten begangen wurden. Diese Argumentation würde analog bedeuten: Der Bund dürfte dem umstrittenen Palästina-Hilfswerk UNRWA keine Gelder streichen, auch wenn sie an Verbrechen gegen Israel beteiligt waren. In diesem Zusammenhang argumentiert man ja auch nicht so. Ich denke, die Politik hat eine Verantwortung und diese Verantwortung erstreckt sich auch auf die Finanzen. Und im Fall der Kirchen und der Missbrauchskrise will der Kanton diese Verantwortung anscheinend nicht übernehmen.

Stiehlt sich der Staat hier auch aus der Verantwortung?

Vögeli: Ich möchte dem Regierungsrat nichts unterstellen. Aber er hat es sich mit seiner Antwort sehr leicht gemacht. Qualitätsstandards und Schutzkonzepte einzufordern ist eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit. Das macht man ja auch wenn man ein Kinderlager organisiert oder es Bauarbeiten an öffentlichen Gebäuden gibt. Dass man es bei der Kirche a priori nicht einmal diskutieren und prüfen will, das irritiert mich nun schon sehr.

Was ist Ihre persönliche Motivation sich als Politiker mit Kirchenthemen zu befassen?

Vögeli: Ich bin sehr religiös aufgewachsen und bin alles andere als kirchenfeindlich. In meinem Fall war es wirklich die Pilotstudie am 12. September, die mich sehr schockiert hat. Und das Gefühl, dass der Staat eine Verantwortung trägt. Das hat bei mir einen Handlungsdruck erzeugt.

Reinhard: Ich bin katholisch aufgewachsen, also auch mit dem religiösen Milieu vertraut. Aber ich bin auch unternehmerisch tätig und ich sehe, die Kirchen fordern von Konzernen moralisches Verhalten. Aber selbst scheitern sie an den Massstäben, die sie für andere setzen.
 

*Carlos Reinhard (51) ist Unternehmer und Fraktionspräsident der FDP.Die Liberalen und seit 2014 Mitglied des Grossen Rats des Kantons Bern.
**Tobias Vögeli (28) gehört seit 2019 der Geschäftsführung der GLP Schweiz an. Er sitzt seit 2022 im Grossen Rat des Kantons Bern.

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