25. November: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen. Foto: iStock/Cineberg

Die Schweiz – ein «familienpolitisches Entwicklungsland»

16 Tage gegen Gewalt an Frauen

Die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» legt den Fokus dieses Jahr auf Gewalt an Müttern. Im Kanton Bern finden Aktionen in Bern, Biel-Bienne, Burgdorf und Thun statt, ergänzt durch Online-Events.

Autorin: Hannah Einhaus

Ihr Auftritt im Bundeshaus im Juni 2018 war spektakulär: Die grüne Nationalrätin Irène Kälin gebar zu Beginn der Sommersession ihren Sohn, wenige Tage darauf stand ein frauenpolitisch wichtiges Geschäft an. Fest stand: Sollte für Frauen in Verwaltungsräten eine Mindestquote eingeführt werden, so war jede einzelne Stimme entscheidend. Kälin verliess das Wochenbett am Tag acht ihrer Mutterschaft – und der Vorstoss kam mit 95:94 Stimmen durch.

Kampfzonen Politik und Wirtschaft

Dieses Beispiel zeigt plastisch, wie männerfreundlich die Kampfzonen Politik und Wirtschaft bis heute organisiert sind. Strukturelle Diskriminierung und physische Gewalt gegenüber Frauen und insbesondere gegenüber Müttern sind an der Tagesordnung. Tradierte und überholte Rollenbilder beengen die Vielfalt von Lebensformen, und so hat der Christliche Friedensdienst (cfd) dieses Jahr die Gewalt an Müttern ins Zentrum seiner Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» gestellt. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von über hundert Organisationen.

Die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» dauert dieses Jahr vom 25. November bis 10. Dezember. Online und an dreizehn Orten, darunter Bern, Biel, Burgdorf und Thun, finden Anlässe zum Thema statt. Prominenteste Zeichen sind die orangen Beleuchtungen prominenter Gebäude in verschiedenen Städten. In der Stadt Bern sind dies das Gebäude Vatterland und das Bundeshaus, in Burgdorf und Thun die Stadtkirche und das Schloss. Dazu kommen im Kanton Bern die Kirchen in verschiedenen Emmentaler Dörfern und das Palace Hotel in Gstaad.

Familienpolitik bewegt sich im Schneckentempo

Kälin bezeichnete die Schweiz an der Medienorientierung des cfd vom 24. November als «familienpolitisches Entwicklungsland». Genannt seien Lohndiskriminierung, fehlende Betreuungsstrukturen und eingeschränkte Rollenbilder. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei ein Problem der Mütter, nicht der Väter. Immerhin: ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub ist nach zähen politischen Kämpfen eingeführt, aber, so Kälin, die Schweizer Familien- und Gleichstellungspolitik «bewegt sich im Tempo einer Schnecke.»

Andrea Nagel, Geschäftsleiterin des cfd, zeigte an der Medienorientierung anhand von Berechnungen der Ökonomin Mascha Madörin auf, dass die meist von Frauen verrichtete, mehrheitlich unbezahlte Betreuungs- und Hausarbeit im Wert dreimal dem Budget des Bundes entspricht, nämlich 248 Milliarden pro Jahr. Diese Benachteiligungen seien ein Hindernis für nachhaltige Entwicklung, ökonomisches Wachstum und Armutsreduktion.

Gewalt im Gebärsaal

An der Präsentation der Kampagne legte Christine Meier, interimistische Geschäftsführerin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern sowie Leiterin des Berner Frauenhauses, den Fokus auf die häusliche Gewalt. Mütter gerieten oft in finanzielle Abhängigkeit der Väter und hätten im Fall einer Trennung oft Probleme mit ihrer Existenzsicherung. Verdrängt werde oft, dass das Miterleben häuslicher Gewalt an Müttern auch bei den Kindern nachhaltig Spuren hinterlasse.

Für die Hebamme Carole Lüscher-Gysi kann Gewalt bereits im Gebärsaal beginnen. «Wir verbinden mit der Geburt in der Regel etwas Schönes, sogar Heiliges», bemerkte sie einleitend. Jedoch würden medizinische Eingriffe oft über den Kopf der werdenden Mutter hinweg entschieden. In der heutigen Zeit von technisierten Geburten sei zudem eine Rundumbetreuung einer Hebamme bei der Geburt nicht mehr möglich.

Mit dieser Kampagne weist der cfd nicht nur auf die aktuellen Mängel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hin, sondern plädiert auch für eine vielfältige Mutterschaft. «Nur eine umfassende Gleichstellung kann all diese Formen von Gewalt nachhaltig verhindern», betonte Kampagnenleiterin Anna-Béatrice Schmaltz. Das Thema ist nicht neu, und doch muss es wiederholt werden. Der Prozess zur Gleichstellung dauert.

Alle Aktivitäten sind abrufbar unter www.16tage.ch

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